Full text: Deutsche Gedichte für die Mittel- und Oberstufe höherer Mädchenschulen

Matthias Claudius. 
Weinend schlang der Jüngling seine Arme 
Am den Greis, bedeckete sein Antlitz 
Stumm und starr, dann stürzte statt der Antwort 
Aus den Augen ihm ein Strom von Tränen. 
Auf die Knie sank Johannes nieder, 
Küßte seine Land und seine Wange, 
Nahm ihn neugeschenket vom Gebirge, 
Läuterte sein Äerz mit süßer Flamme. 
Jahre lebten sie jetzt unzertrennet 
Miteinander; in den schönen Jüngling 
Goß sich ganz Johannes' schöne Seele. 
Sagt, was war es, was das Lerz des Jünglings 
Also tief erkannt' und innig festhielt? 
And es wiederfand und unbezwingbar 
Rettete? Ein Sankt-Iohannes-Glaube, 
Zutraun, Festigkeit und Lieb' und Wahrheit. 
Matthias (Llaudius. 
1740-1815. 
6. Abendlied. 
1. Äer Mond ist aufgegangen, 
Die goldnen Sternlein prangen 
Am Lümmel HM und klar; 
Der Wald steht schwarz und schweiget, 
And aus den Wiesen steiget 
Der weiße Nebel wunderbar. 
2. Wie ist die Welt so stille 
And in der Dämmrung Äülle 
So traulich und so hold! 
Als eine stille Kammer, 
WoFhr des Tages Jammer 
Verschlafen und vergessen sollt.
	        
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