Johann Wolfgang von Goethe.
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6. Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? —
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh' es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau. —
7. „Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
And bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt." —
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan! —
8. Dem Vater grauset's, er reitet geschwind.
Er hält in Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Los mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.
U. Der Schatzgräber.
1. Ärm am Beutel, krank am Lerzen,
Schleppt' ich meine langen Tage.
Armut ist die größte Plage,
Reichtum ist das höchste Gut!
And, zu enden meine Schmerzen,
Ging ich, einen Schatz zu graben.
„Meine Seele sollst du haben!"
Schrieb ich hin mit eignem Blut.
2. And so zog ich Kreis um Kreise,
Stellte wunderbare Flammen,
Kraut und Knochenwerk zusammen:
Die Beschwörung war vollbracht.
And auf die gelernte Weise
Grub ich nach dem alten Schatze
Auf dem angezeigten Platze;
Schwarz und stürmisch war die Nacht.
3. And ich sah ein Licht von weiten.
And es kam gleich einem Sterne
Linien aus der fernsten Ferne,
Eben als es zwölfe schlug.
And da galt kein Vorbereiten:
Leller ward's mit einem Male
Von dem Glanz der vollen Schale,
Die ein schöner Knabe trug.