II. Die mittelhochdeutsche Zeit.
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II. Die mittelhochdeutsche Zeil.
Nachdem die wissenschaftliche Bildung, ja sogar die Kunst des
Schreibens bis ins 11. Jahrhundert fast ausschließlich Besitz der
Geistlichen gewesen war, rang sich im 12. Jahrhundert das Ritter—
tum zu immer arößerer Bedeutung empor; und wie sich dieser Stand
allmählich der Dildungsmittel der damaligen Zeit bemächtigte, so nahm
er auch die Führung in der Dichtung des 12. und 13. Jahrhunderts.
In den Händen der Ritter kam die mittelalterliche Dichtung zu wunder—
barer Blüte. Wir bewundern die Werke dieser ersten Blütezeit der
deutschen Sftteratur (ca. 1185 — 1230) noch jetzt.
Die Gründe dieses Aufschwunges lagen
1. in den Kreuzzügen, welche nicht nur das äußere Ansehen der
Ritterschaft bedeutend hoben, sondern auch den Anschauungs- und Ideen—
kreis der abendländischen Helden erweiterten und ihre Phantasie an—
regten. Allerhand orientalische Sagen und Märchen brachten die Kreuz—
ritter mit in ihre Heimat. Dazu kam, daß während der Züge nach
dem heiligen Lande die deutschen Ritter durch den Verkehr mit Franzosen,
Engländern und Italienern manche wertvolle Anregung empfingen.
2. in der Teilnahme des glänzenden hohenstauffischen Kaiser—
hauses und anderer deutscher Fürstenhöfe (besonders der Land—
grafen von Thüringen auf der Wartburg und der babenbergischen
Herzöge von Osterreich) an allen ritterlichen Bestrebungen und somit
auch an der ritterlichen Dichtung. Die Fürsten schützten und förderten
nicht nur die ritterlichen Sänger, sondern dichteten auch wohl selbst
GKaiser Heinrich VI., Konradin).
3. in dem Einflusse der französischen Dichtung. Wie die
ritterlichen Sitten und Gebräuche, so ging auch die Ritterdichtung
von Frankreich aus. Vom Süden dieses Landes aus drang die höfische
Lyrik der Troubadours nach dem Norden, über Flandern in die Gegend
des Niederrheins und dann nach dem südlichen Deutschland. Ebenso fand
die höfische Epik der Trouvères aus Nordfrankreich in Deutschland Eingang.
Neben dieser von der französischen Litteratur beeinflußten ritterlichen
Kunstdichtung dauert die Volksdichtung, welche nie erloschen war, fort.
Es stehen also neben den höfischen Dichtern vornehmen Standes
die fahrenden Leute, die von Ort zu Ort wandernd, für klingenden
Lohn die noch im Volksmunde lebenden alten Heldenlieder mit Be—
gleitung der Fiedel sangen.
Wir unterscheiden demnach in dieser Periode:
A. Die mittelalterliche Epik, und zwar
1. das Volksepos,
. das Kunstepos.
B. Die mittelalterliche Lyrik.
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