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10. Walther von der Vogelweide.
m. Einst und jetzt.
1. O weh! Wohin entschwanden alle meine Jahr'!
Hab' ich geträumt mein Leben, oder ist es wahr?
Was ich für wahr gehalten, war es nur ein Traum?
Dann hab' ich wohl geschlafen, und ich weiß es kaum.
Jetzt bin ich aufgewachet, da ist mir unbekannt,
Was einst mir so vertraut war wie meine rechte Hand.
Es sind mir Land und Leute, da man mich erzog,
Gar fremd und kalt geworden, als ob ein Schein mich trog.
Mit denen froh ich spielte, die sind nun träg und alt.
Der Acker ist verwüstet, verschwunden ist der Wald:
Nun daß das Wasser fließet, so wie es ehmals floß,
Fürwahr, sonst glaubt' ich, wäre mein Unglück gar zu groß.
Mich grüßet mancher träge, der mich gekannt so wohl.
Die Welt ist allenthalben der Mühsal gar zu voll.
Wenn ich gedenk' an manchen wonnesamen Tag,
Der mir in nichts zerronnen wie in das Meer ein Schlag,
Immer mehr o weh!
2. O weh, wie thut so kläglich der jungen Leute Schar!
Sie, denen einst so fröhlich ihr junges Herze war,
Die können nichts als sorgen; weh, warum thun sie so?
Wo ich zu Menschen komme, ach, niemand ist da froh.
Die Lust bei Tanz und Singen löst sich in Sorg' und Leid;
Kein Christenmensch sah jemals so jämmerliche Zeit,
So seht nur, wie die Frauen sich binden jetzt ihr Haar,
Die stolzen Ritter tragen wohl Bauernkleider gar!
Welch schreckenvolle Kunde ist her von Rom gekommen,
Nun dürfen wir nur trauern, die Freud' ist uns genommen.
Das quält mich recht von Herzen, — wir lebten einst so wohl! —
Daß ich nun statt zu lachen allein noch wachen soll.
Die Vögelein, die freien, betrübet unser Klagen:
Was Wunder ist's, wenn ich nun muß ganz und gar verzagen.
Was red' ich doch so thöricht in meinem schlimmen Zorn?
Wer hier die Freude suchet, hat jene dort verlorn.
Immer mehr o weh!
O weh, wir sind vergiftet mit Süßem ganz und gar!
Im Honig mitten inne nehm' ich die Galle wahr.
Die Welt ist schön von außen, so grün und weiß
Doch innen schwarzer Farbe, finster wie der Tod.
Wen sie verführet habe, der suche Trost und Heil,
Ihm wird für leichte Buße Vergebung noch zu teil.
Euch geht es an, ihr Ritter, beachtet meinen Wink!
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und rot,