Full text: [Teil 3, [Schülerband]] (Teil 3, [Schülerband])

44 
32. Gottfried August Bürger. 
Lenore. 
1. Lenore fuhr ums Morgenrot 
Empor aus schweren Träumen: 
„Bist untreu, Wilhelm, oder tot? 
Wie lange willst du säumen?“ — 
Er war mit König Friedrichs Macht 
Gezogen in die Prager Schlacht 
Und hatte nicht geschrieben, 
Ob er gesund geblieben. 
2. Der König und die Kaiserin, 
Des langen Haders müde, 
Erweichten ihren harten Sinn 
Und machten endlich Friede; 
Und jedes Heer mit Sing und Sang, 
Mit Paukenschlag und Kling und Klang, 
Geschmückt mit grünen Reisern, 
Zog heim zu seinen Häusern. 
3. Und überall, allüberall, 
Auf Wegen und auf Stegen, 
Zog alt und jung dem Jubelschall 
Der Kommenden entgegen. 
Gottlob! rief Kind und Gattin laut, 
Willkommen! manche frohe Braut; — 
Ach! aber für Lenoren 
War Gruß und Kuß verloren. 
4. Sie frug den Zug wohl auf und ab 
Und frug nach allen Namen; 
Doch keiner war, der Kundschaft gab, 
Von allen, so da kamen. 
Als nun das Heer vorüber war, 
Zerraufte sie ihr Rabenhaar 
Und warf sich hin zur Erde 
Mit wütiger Gebärde. 
5. Die Mutter lief wohl hin zu ihr: 
„Ach, daß sich Gott erbarme! 
Du trautes Kind, was ist mit dir?“ 
Und schloß sie in die Arme.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.