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versteckt-^aber durch ein schmales Fenster führte ein Zugang in. den
Hof. Wir schlüpften hindurch. Alles war hier mit dürrem Gestrüpp
bewachsen, und von den Höhen der Mauer hing in dicken Büscheln
gelbes Gras wie Locken herab, f Alles war still und todt; nUr^eU
einsamer Geier schwebte vorüber, und ein flüchtiger Marder schaute
aus der Öffnung eines hohen Fensters neugierig und schüchtern auf
die ungewohnte Erscheinung von Menschen herab.
■■'jr Mit großer Begierde durchsuchten wir das wüste Gemäuer; die
l\ Keller und Burgverließe, die verfallenen Säle, die verschütteten Hallen,
die Kapelle, worin teere Blenden die Plätze zeigten, an denen ehedem.
Bilder von Heiligen standen, und die Stelle des zerstörten Altars an
ausgetretenen Steinen zu erkennen war, wo vormals die Andacht
gekniet und gebetet hatte. Überall herrschte Zerstörung und stille
Trauer. Auf der dem Thore gegenüberliegenden Seite fanden wir
die Reste eines Söllers mit der Hälfte seiner Brustlehne, welcher ehedem
tut zweiten Stockwerke auf Säulen geruht hatte. Jetzt war der Boden
bis zu ihm hinaufgeschwollen. Z Eine unerwartete Aussicht überraschte
uns, als wir heraustraten. Senkrecht ging die Mauer hinab in die
Tiefe, auf dem lebendigen Felsen ruhend, der sich unten im dichten
Gebüsch der Wälder verlor. An des Berges Fuß drängte ein heiteres
(7 Dörfchen sich an mit seinen aufsteigenden Straßen und hängenden
Gärten; weiterhin lag ein offenes, fruchtbares, lachendes Land, von
Fruchtfeldern und Wiesen malerisch zusammengesetzt yfmu Landstraße
schlang sich bald steigend, bald sinkend hindurch. Munter bewegte
sich in der Tiefe die Welt. Die satten Herden zogen langsam den
Ställen zu;/auf deß Wiesen regten sich emsige Mäher, hoch belastete
/ Wagen voll Heu schwankten nach'den Dörfern hin. Alles erschien
uns von dieser Höhe herab neu und merkwürdig. Bisweilen drangen
von unten herauf^einzelne Töne in unser lauschendes Ohr, oder irgend
ein Wiederhall unterbrach die tiefe Stille, welche um uns her in dem
öden Gemäuer wohute. Wie oft mochten auf diesem Söller die alten,
^ tapferen Besitzer der Burg gesessen und der herrlichen Aussicht an
schönen Morgen und Abenden genossen haben! Dort in der Mitte
4 saß dann wol der alte Ritter, ihm zur Seite die geschäftige Hausfrau,
ringsum im bunten Kreise Söhne und Töchter. Dann erzählte dm
Alte von seinen Zügen und Thaten, die Jüngeren lauschten zu, und
die Knappen drängten sich neugierig herbei! Und die alte Zeit zo§
mächtig vor unserm Geiste herauf.
Jsi Da/trat die Sonne hinter das Gemäuer, lind ein langer, tiefet
Schatten siel in die Landschaft hinab und verschleierte plötzlich das