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ihren Grund. Allmählich aber verschließt der See die Geheimnisse seiner
Tiefen mit weichem Grünblau, der Dampfer tritt aus der seichten Bucht
von Konstanz in den freien See hinaus, in weitem grün erschimmernden
Oval liegen die Ufer mit den weißen Hafenpunkten, leise spielen Luft
und Licht, stets gewaltiger wirkt die Weite und Breite des Gewässers
auf das Auge und erweckt Stimmungen, die uns ans Meer erinnern.
Das Ufer, das wir verlassen haben, löscht seine lebhaften Farben in einem
Schleier weichen Blaus, die Stadt, von der wir ausgegangen sind,
schrumpft zusammen, wird kleiner, ihre Silhouette will langsam in den
See versinken, schon schneidet seine lichtblaue Linie die Häuser auf halber
Höhe ab. Endlich verschwinden sie. Von Konstanz ragt nur noch das
Münster, das fast den ganzen See überblickt, sein Schildknappe, der
Stephansturm, und im tiefen Hintergrund der Landschaft der Doppel⸗
gipfel des Hohenstoffel gegen die Wölbung des Himmels empor. Ist
das Schiff aber erst über Romanshorn und Lindau hinausgelangt, so neigt
sich auch der Stephansturm in die Flut, bleibt uns vom Münster nur
noch ein Helmstumpf; endlich erspähen wir nur noch die hellschimmernde
Kreuzblume. In der Bregenzer Bucht ist aber auch sie verschwunden,
steigen die letzten Spitzen des Hohenstoffels nur noch wie Höckerchen über
das weite Blau; erst wenn wir von Bregenz am Pfänder emporsteigen,
wächst die Steinnadel des Konstanzer Münsters wieder wie eine Denk—
malssäule über dem See empor.
Erscheinungen also wie am Meer! — Dem Schauspiel, wie das
eine Ufer des Sees blaßt und schwindet, entspricht das andere, wie das
Gestade, an dem unser Ziel liegt, sich allmählich vor uns aus der Flut
hebt, schwillt, sich entfaltet, wie die schimmernde graugrüne Uferlinie der
Ferne bei der Ännäherung des Bootes sich mit Farben belebt, in eine
Fülle schöner Einzelheiten, in einen lachenden Kulturgarten auflöst. Das
ist der besondere Reiz der Querfahrten zwischen dem deutschen und
schweizerischen, zwischen dem schweizerischen und deutschen Ufer.
Dazu gefellt sich die Fülle von Sonne, die bei schönem Wetter auf
den weilen Spiegel des Sees herniederflutet. Gebadet in Licht liegt
die azurne Fläche zwischen den sanften Ufern und fernen Bergen da,
man spürt eine Weite des Himmels über sich, die heiter und beruhigend
in das Gemüt des Menschen geht.
de nach unserer Geistesart regt das Stimmungsbild des Bodensees
in uns poelische Empfindungen an oder löst es eine Menge wissen—
schaftlicher Fragen aus. Denn auch der Laie muß es mächtig fühlen,
wie der See eine gewaltige Stätte der Natur ist, auf der den menschlichen
Sinnen halb offen, halb verborgen die Geister unermüdlich spielen und
arbeiten, ruhelos und stetig auf- und niedersteigen.
Auf welche Weise mag der mächtige See wohl entstanden sein? —
Die Geologen gehen auf die Eiszeit zurück, auf jene fernen Jahrtausende,