11. Thiercpos.
33
4. AuS „Reineke Fuchs". (1794.)
Bon Johann Wolfgang von Goethe. Werke. Stuttgart und Tübingen, 1850.
Goethes Reineke Fuchs ist eine moderne Umgestaltung des 1498 erschienenen Niedersäch«
fischen Gedichts ReiveKe vo8, dieses die Uebersetzung einer Holländischen Bearbeitung des noch
250 Jahre älteren Vlämischen Gedichts Reinaert von Willem de Matoc.
Wie Reineke abermals verklagt wurde und in große Bedrängniß kam.
Und nun sah man den Hof gar herrlich bestellt und bereitet,
Manche Ritter kamen dahin; den sämmtlichen Thieren
Folgten unzählige Vögel, und alle zusammen verehrten
Braun und Isegrim hoch, die ihrer Leiden vergaßen.
5 Da ergötzte sie festlich die beste Gesellschaft, die jemals
Nur beisammen gewesen; Trompeten und Pauken erklangen,
Und den Hoftanz führte man auf mit guten Manieren.
Ueberflüssig war Alles bereitet, was Jeder begehrte.
Boten auf Boten gingen ins Land und luden die Gäste;
10 Vögel und Thiere machten sich auf; sie kamen zu Paaren,
Reiseten hin bei Tag und bei Nacht und eilten zu kommen.
Aber Reineke Fuchs lag auf der Lauer zu Hause,
Dachte nicht nach Hofe zu gehn, der verlogene Pilger;
Wenig Dankes erwartet' er sich. Nach altem Gebrauche
15 Seine Tücke zu üben gefiel am besten dem Schelme.
Und man hörte bei Hofe die allerschönsten Gesänge;
Speis' und Trank ward über und über den Gästen gereichet,
Und man sah turniren und fechten. Es hatte sich Jeder
Zu den Seinen gesellt; da ward getanzt und gesungen,
20 Und man hörte Pfeifen dazwischen und hörte Schalmeien.
Freundlich schaute der König von seinem Saale hernieder;
Ihm behagte das große Getümmel, er sah es mit Freuden.
Und acht Tage waren vorbei — es hatte der König
Sich zu Tafel gesetzt mit seinen ersten Baronen,
25 Neben der Königin saß er — und blutig kam das Kaninchen
Vor den König getreten und sprach mit traurigem Sinne:
„Herr, Herr König, und Alle zusammen! Erbarmet Euch meiner!
Denn Ihr habt so argen Verrath und mördrische Thaten,
Wie ich von Reineken diesmal erduldet, nur selten vernommen.
30 Gestern morgen fand ich ihn sitzen, es war um die sechste
Stunde, da ging ich die Straße vor Malepartus vorüber,
Und ich dachte den Weg in Frieden zu ziehen. Er hatte,
Wie ein Pilger gekleidet, als läs' er Morgengebete,
Sich vor seine Pforte gesetzt. Da wollt ich behende
35 Meines Weges vorbei, zu Eurem Hofe zu kommen.
Als er mich sah, erhob er sich gleich und trat mir entgegen,
Und ich glaubt', er wollte mich grüßen; da faßt' er mich aber
Mit den Pfoten gar mörderlich an, und zwischen den Ohren
Fühlt' ich die Klauen und dachte wahrhaftig das Haupt zu verlieren.
40 Denn sie sind lang und scharf, er druckte mich nieder zur Erde.
Glücklicherweise macht' ich mich los, und da ich so leicht bin,
Paulsiek, Deutsches Lesebuch, n. 1. 8. Nu fl 3