Full text: Für Tertia (Abtheilung 1, [Schülerband])

Gaudy: Aus „Kaiserlieder." Uhland: Ver sacrum. 
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13. Mit der Höllenflut zu kämpfen weigert sich die müde Hand 
Und verehrt des Schicksals Zürnen in dem schrankenlosen Brand; 
Hier zum ersten Male weichet sie dem übermächt'gen Feind, 
Der aus der geborstnen Erde ringsumher zu brechen scheint. 
14. Im Palast der alten Zaren mißt vom hohen Steinbalkon 
Jenen Ozean von Flammen schweren Blicks Napoleon. 
Er, der immer klar gedeutet künftiger Zeiten Runenschrift, 
Fühlt zum ersten Mal im Busen schwellen finstrer Ahnung Gift. 
15. Schwebend auf des Rauches Wolke sieht er nahn den nächt'gen Geist, 
Der ihm von der Heldenstirne all die Siegeskronen reißt. 
„Soll ich noch im Hafen scheitern?" ruft er. „Stürzt in Trümmer ein 
Meines Kriegerlebens Säule, ch' gefügt der letzte Stein?" — 
16. Bon der Flammen Netz umwobeu, glüht des Schlosses Mauer schon — 
In den Feuerkessel starret unbewegt Napoleon; 
Aschenwolken fluten nieder, Scheiben klirren glutzersprengt — 
Aber nur des Traums Vernichtung ist es, der er trauernd denkt. 
17. Doch des Heeres Feldherrn stürzen vor dem Kaiser auf das Knie, 
Bittend; stürmischer als Alle fleht Eugen: „Mein Vater, flieh! 
Flieh! Der Adler Frankreichs horstet auf dem kreißenden Vulkan! 
Tod auf glutgewobnem Fittich wagt's, dem heil'gen Haupt zu nahn." 
18. Ernst und langsam spricht der Kaiser: „Nein, noch ist es nicht vollbracht! 
Ueber meinen Scheitel, hört es, hat die Flamme keine Bracht. 
Nicht so herrlich soll ich enden. Weder in des Meeres Schooß 
Noch auf Moskaus Scheiterhaufen wird mir das ersehnte Los." 
19. Langsam wie durch Siegespforten, von der Heldeuschar umdrängt, 
Zieht er jetzt durch Feuerbogen, von der Lohe nicht versengt. 
Unverletzt tritt er ins Freie, wendet sich noch einmal um 
Nach der Asche seiner Lorbeern und erreicht Petrowskoi stumm. 
IV. Erzählungen, Ballade» llomanjcn. 
a, Sagenhafte Stoffe. 
In der Geschichte verschwinden dir oft die Fäden deS Schicksals 
Mer de- Volkes Gemüth stellt in der Sage sie her. 
Emanuel Geibel. 
12. Ver sacrmn. (1829). 
Von Ludwig Uhland. Gedichte. Stuttgart und Tübingen, 1853. 
1. Als die Latiner aus Lavinium 
Sticht mehr dem Sturm der Feinde hielten Stand, 
Da hoben sie zu ihrem Heiligthum, 
Dem Speer des Mavors, flehend Blick und Hand. 
2. Da sprach der Priester, der die Lanze trug: 
„Euch künd' ich statt des Gottes, der euch grollt: 
Nicht wird er senden günstigen Vogelflug, 
Wenn ihr ihm nicht den Weihefrühling zollt!" — 
3. „Ihm sei der Frühling heilig!" rief das Heer — 
„Und was der Frühling bringt, sei ihm gebracht!" 
Da rauschten Fittiche, da klang der Speer, 
Da ward geworfen der Etrusker Macht. 
Paulsirk, Deutsches Lesebuch. II. i. 8. Au fl. 
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