Full text: [Teil 6 = Obertertia - Untersekunda, [Schülerband]] (Teil 6 = Obertertia - Untersekunda, [Schülerband])

Freytag: Friedrich der Große. 
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denl grüßen König ärgerlich und wenig geneigt. Aber denr Land und 
den meisten deutschen Städten war die energische Hilfe des Königs 
Rettung vom Untergange. Die preußischen Beamten, die in das Land 
geschickt wurden, waren erstaunt über die Trostlosigkeit der unerhörten 
Verhältnisse, die wenige Tagereisen von ihrer Hauptstadt bestanden. 
Nur einige größere Städte, in denen das deutsche Leben durch feste 
Mauern und den alten Marktverkehr unterhalten wurde, und geschützte 
Landstriche, die ausschließlich von Deutschen bewohnt wurden, wie die 
Niederung bei Danzig, die Dörfer unter der milden Herrschaft der Cister- 
cienser von Oliva und die wohlhabenden deutschen Ortschaften des katho¬ 
lischen Ermelands, lebten in erträglichen Zuständen. Andere Städte lagen 
in Trümmern, wie die meisten Höfe des Flachlandes. Bromberg, die 
deutsche Kolonistenstadt, fanden die Preußen in Schutt und Ruinen. Kulm 
hatte aus alter Zeit seine wohlgefügten Mauern und die stattlichen Kirchen 
erhalten; aber in den Straßen ragten die Hälse der Hauskeller über das 
morsche Holz und die Ziegelbrocken der zerfallenen Gebäude hervor; ganze 
Straßen bestanden nur aus solchen Kellerräumen, in denen elende Be¬ 
wohner hausten. Von den vierzig Häusern des großen Marktplatzes 
hatten achtundzwanzig keine Türen, keine Dächer, keine Fenster und keine 
Eigentümer. In ähnlicher Verfassung waren andere Städte. 
Auch die Mehrheit des Landvolks lebte in Zuständen, die den 
Beamten des Königs jämmerlich schienen, zumal an der Grenze Pommerns, 
wo die wendischen Kassuben saßen. Wer dort einem Dorf nahte, der 
sah graue Hütten und zerrissene Strohdächer auf kahler Fläche, ohne 
einen Baum, ohne einen Garten, — nur die Sauerkirschbäume waren 
altheimisch. Die Häuser waren aus hölzernen Sprossen gebaut, mit 
Lehm ausgeklebt; durch die Haustür trat man in die Stube mit großem 
Herd ohne Schornstein; Ofen waren unbekannt; nie wurde ein Licht 
angezündet, nur der Kienspan erhellte das Dunkel der langen Winter¬ 
abende; das Hauptstück des elenden Hausrats war das Kruzifix, darunter 
der Napf mit Weihwasser. Das schmutzige und wüste Volk lebte von 
Brei ans Noggenmehl, oft nur von Kräutern, die sie als Kohl zur 
Suppe kochten, von Heringen und Branntwein, dem Frauen wie Männer 
unterlagen. Brot war fast unbekannnt, viele hatten in ihrem Leben nie 
einen solchen Leckerbissen gegessen, in wenig Dörfern stand ein Backofen. 
Hielten sie einmal Bienenstöcke, so verkauften sie den Honig an die 
Städter, außerdem geschnitzte Löffel und gestohlene Rinde; dafür erstanden 
sie auf den Jahrmärkten den groben blauen Tuchrock, die schwarze Pelz¬ 
mütze und das hellrote Kopftuch für ihre Frauen. Selten fand sich ein 
Webestuhl, das Spinnrad war unbekannt. Die Preußen hörten dort 
kein Volkslied, keine Musik, sahen keinen Tanz, Freuden, denen auch der 
elendeste Pole nicht entsagt; stumm und schwerfällig trank das Volk beu
	        
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