Meißner: Ein deutsches Schauspiel u.s.w. Steinhaufen: V. deutsch. Kunst u.s.w. 53
nissen, wie der Anblick einer Frucht oder einer Blüte oder eines Gras¬
halmes.
Alles das bot uns die Heimat. Von ihr enlpfingen wir die ersten
starken Eindrücke, die unser Auge trafen und unsern Bildnertrieb weckten.
Denn zuerst doch freute sich das Kind an den Gegenständen, die es um¬
gaben; und um sie klarer vor Augen zu haben, wünschte es, sie nach¬
zubilden, und seine Einbildung glaubte, schon in der Andeutung die volle
Wirklichkeit, den Ersatz des Gegenstandes, zu erblicken. In dieses Kinder¬
paradies führt uns jede echte Kunst zurück. Sie ist Spiel und Ernst
zugleich. Aus diesen Erinnerttngen schöpfen wir heute noch.
Aber nachdem uns nun die Natur ihre unermeßlichen Reichtümer
zeigt, ihre Gaben darbietet, ohne die wir selbst als Künstler nicht einen
Augenblick leben können, da öffnen auch die Meister der Kunst ihre Schätze,
und wir stehen unter ihren: Einfluß. Auch ihre Werke möchten wir
nachahmen. In der Bewunderung für sie, in der Liebe zu ihnen, den
Meistern, möchten wir ihnen nachfolgen. Woran erkennen wir aber, ob
sie deutsche Meister sind? Gibt es dafür in der bildenden Kunst äußere
Erkennungszeichen? Ich sage, nein.
Denken wir an die farbenglühenden Bilder der van Eyk und Memlings,
Rembrandts Helldunkel, Dürers Pracht und Härte zugleich, und dann
etwa an Schwindts Märchen, an L. Richters blaßgefürbte Zeichnungen
oder an seine Holzschnittillustrationen, um nicht an unsere Zeitgenossen
zu erinnern, welche Verschiedenheit des Aussehens! Und doch zweifellos
sind sie alle deutsch, deutsch wie Beethoven, Weber, Schubert, Mozart.
Also müssen die Merkmale geistiger, innerlicher Natur sein. Wohl
natürlich auch, denn der Geist ist das Bleibende, das Unsterbliche in uns.
Vor allem: Der Deutsche hat den Sinn für das Kleine und Kleinste
wie für das Große und Größte. Dürer liebte die kleinen Blumen am
Wegerande, es machte ihm Freude, das Gefieder eines Vogels mit un¬
zähligen kleinen Pinselstrichen wiederzugeben oder die Seidenhaare eines
Häschens, die Harnische und Waffen mit ihren Schnallen und Spiege¬
lungen, die Türmchen und Erker einer Burg, das Innere eines Zimmers
mit allen Geräten und all die tausend Dinge des täglichen Lebens.
Nichts war ihm zu prosaisch und weniger sehens- und abbildenswert.
Unb doch ging seine Phantasie weit darüber hinaus: Himmel und Hölle,
Tod und Teufel zog er in seine Darstellung hinein. Sichtbar wollte
er die geheimnisvollen, die Seele erschütternden Bilder der Apokalypse
machen. Ihn drängte es, durch die Evangelistengestalten seine innerste
Überzeugung von der Wahrheit des Evangeliums allen kund zu tun,
und um nicht mißverstanden zu werden, schrieb er Worte voll Kraft
unter die Bilder.
Und wie er, so sahen und liebten, um nur Namen zu nennen