Full text: Für die Mittelstufe (Klasse III - I der Realschulen) (Gedichtsammlung, [Schülerband])

Aus dem Nibelungenlied. 
28. Sprach Rüdeger der kühne: „Was ist's, das schadlos hält 
für Leid, als liebe Freundschaft? Wem sie zum Lose fällt, 
wohl ihm, erwählt er einen, der treu ihn schließt ins Herz! 
Nichts kann ihn so beglücken nach allem Leid und Seelenschmerz. 
29. Geruhet Ihr zu minnen den edlen Herren mein, 
zwölf der reichsten Kronen gewaltig sollt Ihr sein; 
bon dreißig Fürsten gibt Euch dazu mein Herr das Land; 
sie alle hat bezwungen unwiderstehlich seine Hand.“ 
30. Sprach die edle Fürstin: „Wohl nie gelüstet mich, 
daß mich ein Held erwürbe zu seinem Weibe sich! 
Mir hat der Tod an einem getan so schweren Harm, 
daß ich bis an mein Ende immer lebe freudenarm.“ 
31. „Hohe Herrin,“ sprachen die Hunen abermal, 
„so reich an Ehre lebt Ihr in König Etzels Saal, 
daß Euch's gereicht zur Freude, sollt' es so geschehn: 
manch wackren Degen werdet Ihr in des Königs Dienste sehn. 
32. Helchens edle Jungfraun und hier manch holdes Kind, 
wenn die erst beieinander ein Gesinde sind, 
da möcht' es wohl den Recken werden wohlgemut! 
Herrin, laßt Euch raten: dabei fahrt Ihr wahrlich gut.“ 
33. Da sprach die Fürstin züchtig: „Nun laßt die Rede sein 
bis morgen in der Fruͤhel Da stellt euch wieder ein; 
da sollt ihr Antwort haben auf das, was ihr begehrt.“ 
Drein mußten nun sich fügen die Recken kühn und ehrenwert. 
34. Sie ließ es nun bewenden. Die Nacht bis an den Tag 
die Fürstin tief sinnend auf ihrem Bette lag. 
Ihr sonnenlichtes Auge ward nicht von Tränen rein, 
his sie ging zur Messe bei dem ersten Morgenschein. 
35. Die aus Etzels Lande bald führte man dahin; 
denn Abschied zu nehmen, darauf stand ihr Sinn, 
mit Zusag' oder Abweis in ihr Heimatland. 
Bald Rüdeger der edle vor der Fürstin Kriemhild stand. 
36. Der Held von ganzem Herzen bat die Königin, 
sie möcht' ihn wissen lassen heute ihren Sinn, 
womit an König Etzel sie wollt' erbötig sein; 
doch von der Fürstin hört' er traun nichts anders als ein Nein. 
37. Nicht half's, daß alle baten, bis endlich Rüdeger 
sprach ohne alle Zeugen mit der Fürstin hehr; 
was ihr auch geschehen, er mach' es wieder gut. 
Etwas weicher stimmte sich da der Fürstin trüber Mut.
	        
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