Full text: [Abteilung 5 = Obertertia, [Schülerband]] (Abteilung 5 = Obertertia, [Schülerband])

134 
Freude des Mannes sehen sollen. Wie ftöhlich war er, als er zum erstenmal 
das Theater wieder besuchte; wie heiter erzählte er mir den folgenden Tag, daß 
ihm der Ausgang gar nicht geschadet habe usw. Da sagte er auch einige Male, 
daß er mich bald auf meinem neuen Zimmer besuchen wollte, und einmal, als 
ich ihn von Goethen zu Hause brachte, führte ich ihn an meine Haustüre, die 
er sich merkte. — Nun sann ich schon auf ein kleines Fest, womit ich ihn nach 
meinem Vermögen auf meinem Gartenhause bewirten wollte. Ich hatte schon 
41/2 Laubtaler bloß für den Champagner gespart und wartete nur auf den ersten 
Frühlingstag, aber sein Todestag kam früher als der erste Frühlingstag. 
Ich habe einige herrliche Reliquien von ihm. Sein Stehpult, an dem er 
neun Jahre gearbeitet, hat mir die Hofrätin geschenkt, ferner seine beste Tabaks¬ 
pfeife. Seinen Wilhelm Tell hat er mir selbst geschenkt und gar freundliche 
Worte hineingeschrieben, und dann besitze ich einige Briefe von ihm, die er mir 
nach Jena hin geschrieben. Einen, den er an meinen Vater schickte, habe ich Dir 
durch Abeken zukommen lassen; o, halt ihn ja in Ehren. Hier schicke ich Dir 
auch einige Haare, die von seinem heiligen Haupte sind. Du legst gewiß einen 
Wert darauf. Du pflegtest mehrmals in Eutin zu sagen: „An dem Manne ist 
alles liebenswürdig, selbst sein Tabakssteckchen unter der Nase." Das hab' ich 
ihm einmal wiedererzählt, und er hat herzlich darüber gelacht. Ja, wohl war 
an diesem heiligen Manne alles liebenswürdig! 
So viel für heute, mein guter Iden, bald gibt es mehr; denn ich bin noch 
lange nicht zu Ende und käm' wohl im Grunde nie zu Ende. Deine Schwester 
muß ein liebenswürdiges Mädchen sein, weil sie eine solche Verehrerin von 
Schiller ist. — 
Schiller hat eine Gattin und vier Kinder hinterlassen, zwei Knaben (die ich 
so gerne meine lebendige Erbschaft nenne) und zwei Mädchen von 4 und 1 Jahr. — 
Der älteste Knabe, Karl, ist ein schöner Junge von 12 Jahren, schlankgewachsen, 
lebhaft, freundlich und unbeschreiblich herzlich, recht das Ebenbild seines Vaters, 
wiewohl ihm der hohe dichterische Geist fehlt. So war Andreas Stolberg in 
seinem 12. Jahr, so muß der selige Schiller etwa in seinem 12. Jahr ausgesehen 
haben. Der zweite, Ernst, ist ein gar biederer Knabe, der die Züge seiner Mutter 
hat, ein äußerst kluger Junge, von tiefem Geiste, doch ohne Dichtertalent. Diese 
Jungen sind meine täglichen Gefährten; um 6 Uhr abends kommen sie zu mir 
und holen mich zum Spazierengehen ab, oder zur Mutter, wo wir oft Vor¬ 
lesungen halten aus der Luise usw. — Du schreibst mir einmal, lieber Iden, 
„ich weiß nicht, wo mir der Magnet sitzt, daß ich die Kinder so an mich ziehe, 
es ist weder Verdienst noch Würdigkeit". — Gerade so geht es mir mit Kindern, 
unter anderen mit diesen beiden liebenswürdigen Schillerschen Knaben. Sie 
haben zu mir ein außerordentliches Zutrauen und sind in der Gesellschaft von 
gleichaltrigen nicht so fröhlich wie in der meinigeü. Ich erzähle ihnen tagtäglich 
von ihrem Vater, und dann glühen dem Karl die Augen vor Freude. Ich 
freue mich schon auf die Zeit, wo ich mit diesen Kindern die Schriften ihres
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.