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auszudrücken. Die Menschenferne gehört zu seinem Charakter, und je höher
du steigst, um so ungestörter, freier, urwüchsiger breitet die Natur sich aus,
bis in der Höhe der ewigen Schneedecken und Eishüllen eine Einsamkeit dich
umhüllt, welche nur auf dem Meere oder im tiefsten Urwald oder fern in
der Wüste sich wieder finden mag. In der Ebene ist es selten, daß ein
Stückchen Land, der Hesseln der Kultur ledig, sich entwickelt, wie es kann
und mag, und selbst in den Wald wird Zweckmäßigkeit und Ordnung —160
was man so nennt — mit aller Gewalt hineingetragen. Je weiter aber
nun diese Naturknechtung um sich greift, um so edler, um so wertvoller
wird die Freiheit der Berge, in der ein Beständiges und Absichtsloses dem
kurzlebigen und doch so fernzielenden, darum aber zumeist trostlosen Treiben
der Menschen sich tröstlich entgegenstellt. Die Alten ehrten, wenn sie ihre
Götter auf den Bergen thronen ließen, diese Heiligkeit des Gebirges, dem
gerechterweise auch die Geschichtskundigen das Lob geben, daß es vielfach
die Völker veredelte, die in ihm wohnten, und von dem man wohl sagen
darf, daß auch manche Hervorbringungen seiner Tier- und Pflanzenwelt in
ihrer Art vorzüglicher sind als die entsprechenden der flacheren Gegenden; 160
gewiß läßt es seine Völker nicht so leicht in Üppigkeit versinken wie die
viel fruchtbarere, gefahrlosere, weniger stählende Ebene und gewiß ist die
größere Reinlichkeit seiner Luft, die weniger durch Dünste geschwächte Kraft
seiner Sonne, sein reineres Wasser, sein weniger verschlammter, gestörter und
ausgesogener Boden höchst geeignet kräftige Pflanzen und Tiere zu nähren.
Wenn dann auch ein Fernblick auf seine Ketten einem Blick auf eine weite
Trümmerstätte gleicht — denn weder seine Entstehung noch seine seitherige
Geschichte, deren Hauptfaktor die ununterbrochene nagende und wegführende
Kraft des Wassers ist, waren geeignet ihm im großen sanfte Formen zu
verleihen — so mag es doch wiederum schwerlich ein lebenerfüllteres, ein 170
fröhlicheres Ruinenfeld geben als dieses.
Der Blick ins Gebirge geht wahrlich tief ins Innere der Natur. ^
Es schließt sich hier ein Stück von ihrem Leben auf. Neigen sich die
Wolken zum Wald herab, schweben sie befeuchtend über die Schneegipfel,
regt sichs in tausend Adern dem Tale zu, saßt dann dein Blick das /v '
breite, zum Meer hinausstrebende Flußband, das sich silbern in die bläu¬
liche Ferne des Vorlandes webt, und die schimmernden Schilder der Seen
in sich: da mag dir's sein als öffne sich eine Brust, daß du Herz und
Lunge samt allem Geäder in ihrer stillen lebenfördernden Arbeit belauschest,
in die verborgenste Werkstatt des Lebens einschauest'). Bewahre dann dieses 180
Bild, trage es hinaus in dje Ebene und laß es wachsen und fruchtbar
werden; denn wie die Bäche das Wasser hinausführen aus den Gebirgen,
') Schon von einzelnen Schriftstellern des 18. Jahrhunderts gebraucht.