Maria von England.
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Werke entsage, da ich wohl weiß, wie viel an ihnen fehlt, um
nicht allein auf feine Gnade und auf das Verdienst Jesu zu rechnen."
Sie endigte mit dem lauten Gebete des 51. Psalms.
Darauf nahm sie selbst Halstuch und Handschuhe ab und ließ
sich -von ihren treuen Dienerinnen Elisabeth und Helena das Ober¬
kleid ausziehen. Dem kniend um Verzeihung bittenden Scharfrichter
antwortete sie freundlich und bat ihn nur, schnell mit ihr zu enden.
Als man ihr das Tuch zum Verbinden der Augen reichte und sie
den Block erblickte, fragte sie: „Wird mich der Hieb treffen, ehe
ich mich darauf gelegt habe?" Da man ihr das Gegentheil ver¬
sicherte, verband sie sich schnell die Augen, tappte nach dem Blocke,
und nachdem man sie daran geführt hatte, legte sie ihr Haupt
willig hin. Unter dem andächtigen Gebete: „Herr! in deine Hände
befehle ich meinen Geist!" wurde es vom Körper getrennt.*) In
der Kapelle des Towers wurde sie neben ihrem Gatten beigesetzt.
Alle Anwesende, selbst Maria's Anhänger, waren tief bewegt. In
alle Länder ist der Ruf ihres seltenen Verstandes und ihrer schönen
Seele gedrungen; überall, auch spät noch, sind nah und fern ihrem
Schicksale Thränen geflossen. Künstler und Dichter haben gewett-
eifert, sie in ihren Werken zu verherrlichen. Der Oberrichter aber,
der ihr Todesurtheil gesprochen hatte, ist nach dessen Vollziehung
wahnsinnig geworden, hat unaufhörlich gerufen: „Weiche von mir,
Johanna!" und so ist er gestorben.**)
Je lieblicher die -holde Weiblichkeit der unglücklichen Johanna
erscheint, desto widerlicher stößt der Charakter Maria's zurück.
Sie nur empfand bei der Nachricht von Johanna's edelm
Benehmen in ihrer Todesstunde nicht die geringste Theilnahme,
sondern sah nur mit größter Ungeduld der Ankunst Philipps
entgegen. Bitter 'beklagte sie sich, daß er so lange zögere und ihr
noch nicht einmal geschrieben habe. Seitdem sie- bemerkte, daß
die Engländer mit Unmuth der spanischen Verbindung entgegensahen,
haßte sie ihre eigene Nation und nahm sich vor, sich blutig an ihr
zu rächen. Dieser Philipp war den Engländern so verhaßt, daß
der englische Admiral, der ihn nach England herüberholen sollte, der
Königin unumwunden erklärte, er könne nicht dafür stehen, daß
nicht seine Matrosen den Prinzen unterwegs mißhandelten. Während
*) „Da ging ihr Kerker auf, und ihre Seele schwang
Auf Engelsflügeln sich empor zur ewigen Freiheit." Schiller.
**) Niemeyer's Beobachtungen auf Reisen, Th. 1.
Weltgeschichte für Töchter. III. 16. Aufl. 7