Metadata: Deutsches Lesebuch für die mittleren Classen höherer Lehranstalten

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Beschreibende Prosa. 
dem Arme, nach der Kirche pilgern. — 
Morgen rufen die Glocken der Katholiken zu 
einem Feste der unbefleckten Jungfrau, und 
Polen, Litthauer, französische und österreichische 
Unterthanen wallen zu den Tempeln. — Ueber⸗ 
morgen aber bimmeln die tausend Glocken der 
griechischen Kolokolnicks, und nun summt und 
flattert es auf allen Straßen von den gras— 
grünen, blutrothen, schwefelgelben, veilchen⸗ 
blauen Töchtern und Frauen der russischen 
Kaufleute. An großen Staatsfesten aber, den 
sogenannten „Kaiserlichen Tagen,“ erscheinen 
dann alle Trachten, alle Farben und Moden, 
die von Paris bis Pecling gäng und gebe 
sind. Es ist, als wenn Noahs Arche an der 
Newa gestrandet wäre und ihres sämmtlichen 
bunten Gefieders sich entledigt hätte. 
Eine merkwürdige Festlichkeit ist die alljähr⸗ 
lich am 6. Januar stattfindende Taufe der Newa, 
wodurch die ganze Stadt in heilige Aufre— 
gung versetzt wird. Die Newa ist äußerst 
fischreich, trägt sehr große Schiffe und gewährt 
den Petersburgern zugleich das Trinkwasser 
und in ihren gesellschaftlichen Verhältnissen 
die wesentlichsten Erleichterungen. Es ist daher 
wohl begreiflich, daß sie ihnen ein Gegenstand 
der Verehrung ist, die sich in einem feier⸗ 
lichen Cultus kundgibt, in der hochpriester⸗ 
lichen Weihe des Wassers bestehend, das von 
Tausenden und Abertausenden in Gefäßen 
aller Art geschöpft und nach Hause gebracht 
wird, um damit ihre Bogs, Gottesbilder, die 
jeder Russe in seinem Hause hat, zu bespren— 
gen und die bösen Geister zu bannen. Das 
Wasser, also geweiht, wird gleicherweise auch 
für eine Universalmedicin gegen Krankheiten 
des Körpers und des Geistes gehalten. 
Die Feierlichkeit selbst beginnt Mittags um 
12 Uhr in dem Augenblicke, wo der Kaiser 
unter dem Donner der Kanonen von der 
Citadelle entblößten Hauptes sein Palais 
verläßt und, gefolgt von seinem ganzen Hofe, 
dem Stabe und der höhern Geistlichkeit, dem 
großen, mit Heiligenbildern verzierten, auf 
dem Eise errichteten Pavillon zuschreitet. Das 
bis jetzt ununterbrochen tönende Geläute ver— 
stummt, und der Archimandrit mit seiner 
Geistlichkeit stellt sich an die Oeffnung im 
Eise, liest die Messe, segnet das Wasser der 
Newa und ruft: „Herr, erbarme Dich unser!“ 
diesen Ruf sehr oft wiederholend. Mit dem 
Eintauchen eines großen Crucifixes in die 
Newa, wodurch das Wasser die Weihe erhält, 
schlieht die Fefllichleine Kubner (nach Kohhhe 
19. Die Steppenbründe in Südrußland 
am Pontus. 
Die hauptsächlichste und einzige Maßregel 
welche die Steppenbewohner zur Verbesserung 
des Graswuchses anwenden, das „Abbrennen 
der Steppe,“ wird vorzüglich im ersten Früh⸗ 
jahr, sogleich nach dem Wegschmelzen des 
Schnees, vorgenommen, weil man dam 
sogleich statt des weggebrannten Grases 
auf schnell hervorsprießendes neues hoffen 
kann, waͤhrend man im Winter gern nod 
das alte ein wenig zur Weide benutzt. Zu 
weilen geräth auch die Steppe durch einen 
Zufall in Brand, oder wird böswillig au 
gezündet, besonders häufig während de 
Sommermonate, wo die Dürre und Hih 
oft so groß ist, daß man meint, die Steppt 
müßte von selber bald aufflammen. 
Solche zufällige wilde, das heißt unbeauf 
sichtigte Brände, gehen zuweilen außerordent 
lich weit, fünfzig bis sechzig, ja bis hunden 
Werste und noch mehr, uͤnd richten dann o 
viel Unglück an, Alles, was ihnen Verzehn 
bares in den Weg kommt, verzehrend. Nih 
nur einzelne Gehöfte, sondern auch gan 
Dörfer, die gewöhnlich mitten im Steppen 
rasen liegen und nur von ihren Heu⸗ und 
Strohhaufen umgeben sind, vernihfen sie 
Ein solcher wilder Brand schreitet bald lang 
samer, bald schneller vor, je nach der Starl 
des Windes und je nach der Beschaffenhel 
des Grases, das er auf seinem Wege findet 
Kommt die Flamme in klafterhohe Unkraub 
oder Dornenwälder, so wüthet sie hier in 
gewaltiger Unruhe, und die Flammenwellen 
schlagen hin und her hoch empor, bis sie 
Alles vernichtet haben und weiter wandern 
Im gewöhnlichem Grase fährt sie wie einte 
lange Schlange mit mäßiger Raschheit hin 
kommt sie aber auf eine alte Steppe, wo 
das zarte, sehr brennbare Seidenkraut wogt 
so hüpft sie auf einmal mit weißer hellet 
Flamme empor und schwingt sich mit ge— 
waltiger Gewandtheit, sei es mit, sei e 
gegen den Wind, über das wogende Feld 
dahin, alle die Millionen zarter Federchen 
im Nu versengend. Zuweilen zieht sie sich/ 
wenn sie zwischen zwei Wege geräth oder 
zwischen zwei Thäler, eng zusammen, und 
man glaubt schon ihr Verloͤschen nahe; allein 
sie überschreitet den Isthmus, und kommt 
plötzlich wieder auf eine weite unabsehbare 
— — —
	        
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