Full text: Deutsches Lesebuch für die mittleren Classen höherer Lehranstalten

Beschreibende Prosa. 
seine Melancholie besiegt hatte, schnitt er zum 
Zeitvertreib seinen Ramen in mehrere Baͤume, 
guch die Tage seines Dortseins. Er fing 
Zicklein, machte sie zahm und pflegte singend 
mit ihnen herumzuhüpfen. Anfangs quälte 
ihn eine Monge wüder Ratzen und Katzen, 
Vren Slammeltern von den verschiedenen 
Schiffen, die wegen Wasser und Holz bei 
duan Fernandez angelege hanen, an dae 
Land gelommen und geblieben waren. Durch 
hutes Futter zähmte er die Katen, die ihn 
dann von der Haupipiage der Rahen völlg 
befreiten und vertraulich oft bei Hunderten 
um ihn herumlagen. Er hatte sich an— 
gemertt. daß er während der vier Jahre und 
vier Monate, die er allein auf der Insel zu⸗ 
brachte, über fünshundert Ziegen geschlachiet 
und noch weit mehr gefangen hane, denen 
um sie wieder zu kennen, ein Ohr auf— 
shlißte und sie so entließ Er maghte sich 
WVamms, Beinkleider und Mühe von Ziegen⸗ 
fell; Band und Zwirn waren dabei ledeme 
Riemen, die Nadel war ein Ragel, und 
Messer bereitete er sich aus den eisernen 
Tonnenreifen, die er am Ufer fand. Mi 
dem Leinwandvorrath ging er aufs Spar⸗ 
samste um, aber er trug grade sein lehles 
demd, als er die Insel verließ. 
Mehrmals sah Selkirk europäische Schiffe, 
nur zwei gingen bei der Insel vor Anker. 
nherte sich den ams Land gestiegenen 
deuten, um zu sehen, von welcher Nation sie 
waren. As er sand, daß es Spanier waren, 
eilte er schnell in die Berge zurück, allein 
nit großer Gefahr, da man hinter ihm her 
schoß; und er sich nur so eben auf einen 
Vuin tellete umer welchem fich seine Ver— 
solger Ine Wele aufhielen, ohne ihn in 
dem Wipfel dewahr zu werden. So sehr er 
sich auch sehne, vieder uner Menschen zu 
kommen, so wollteng doch lieber in seiner 
Kinsamleil blelben und sabst bei der Flucht 
Lin Leben aufs Spiel setzen, als den 
Spaniern in di Hände fallen, von denen er 
glaubte, sie würden ihn tödten, oder auf 
lebenslang als Sclave in den Bergwerken 
halten, damit kein Fremder von ihrer Süd⸗ 
see etwas berichten vnne. Waren es Fran— 
Pfen gewesen, so würde er sich ihnen erge⸗ 
ben Haben. Endlih eischenen wiederum 
Shiffe, die et für englishe hieln ör madie 
zur Nachtzeit Feuer worr den2 Februar 
1709 abgeholt und kam wirklich zu den Eng— 
laͤndern. Es war der Capuan Rogers. 
Sellirk war in Felle von wilden Ziegen 
gehüllt und sah wilder aus, als die Thiere, 
welche einst damit bekleidet waren. Er hatte 
aus Mangel an Uebung das Sprechen ver— 
lernt; man verstand ihn mit Mühe, weil er 
die Worte meist nur halb aussprach. Den 
angebotenen Branntwein schlug er aus, da ihm 
so lange bloß klares Wasser gedient hatte. 
Ueberhaupt kostete es Mühe, ehe er sich an 
die Speisen seiner Landsleute gewöhnte. 
Eine bewunderungswürdige Schnelligkeit zeigte 
er, als der Capitän eine Jagd anstellte. 
Selbst die stärksten Läufer unter der Mann— 
schaft und die Hunde ließ er weit hinter sich 
zurück; die wilden Ziegen holte er ein und 
brachte sie in vollen Sprüngen von den 
Bergen auf den Schultern herab. Seine 
Fußsohlen waren so hart geworden, daß kein 
Boden ihm Beschwerden machte und, als er 
wieder Schuhe trug, ihm die Füße anfangs 
schwollen. Hirschfeld. 
26. Der Bär. 
Aus seinem langen Winterschlaf erwachend, 
stredt sich der Bär und brummt, weil ihn 
bie Frühlingssonne schon so bald in seinem 
Traume stört. Abgemagert tritt er aus 
seiner entlegenen Höhle hervor und sieht sich 
zuerst nach einem guten Frühstück um. Er 
schleppt n und schwerfällig durch 
hie finstere Waldung; seine breiten Tatzen 
haben sich gehäutet und jeder Schritt wird 
ihm sauer. Er wirft den finstern Blick ins 
Gebüsch, ob nicht ein Reh zu erspöhen sei, 
oder ein Hase. Er horcht auf das Summen 
der Bienen und sehnt sich nach Honig, achtet 
auf den Lauf der Ameisen, deren Säure 
seinen Gaumen besonders kitzelt, schnüffelt so— 
gleich am Bohen rvach schmacdhasten Kräutern, 
nimmt aber am ende mit Gras und Wur— 
zeln vorlieb, wenn er nichts Besseres findet. 
Kaum vermag ein guter Fang seine mürrische 
Stimmung etwas zu erheitern, und nur gegen 
die Värin / erweist er sich freundlich. Zur 
duslern Gemuthsart des Bären schickt sich 
sein Körperbau. Er ist kurzbeinig und plum⸗ 
pen Leibes, stect Sommer und Winter in 
dichter zottiger Wildschur. Sein Hals ist 
dic, der Kopf breit, die Stirn platt, aber 
die Schnauze vorgestredt; stark sind das Ge⸗ 
biß und die Klauen seiner Tatzen. Das 
kleine, schiefe Auge zeigt einen mißtrauischen 
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