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Dichtungen in metrisch ungebundener Rede.
Ihr für gefährliche Neuerungen? Das heißt,
den Slaat zum Besten haben.“ So hatte
ichs nun wahrhaftig nicht gemeint, ich hatte
ja nicht geglaubt, daß es den Staat zum
Besten haben heiße, wenn man ihm die Wahr⸗
heit sagn. Ich wäre in der That beinahe
Im meine Stelle gekommen und habe es bei
dem Alten lassen müssen. Man gibt sich
dann, wenn man einmal im Amte ist.
AÄber da schlägt's zehn; nun, liebe Mit—
bürger, könnt Ihr Euch hinlegen und schla⸗
fen, ich will nun schon hübsch nach dem Rech⸗
ten sehen. Mag der Unvorsichtige meine
gute Lehre vom Feuer und Licht befolgen,
Nag lein Sorgender, kein Leidender meine
Stimme hören, mag der kranke Reiche, wenn
er sie vernimmt, bei sich sagen: „Wie wohl
ist mir, daß ich kein kranker Nachtwächter
bin!“ Mag der sieche Arme, von wohlthäͤ⸗
tigen Begüterten unterstützt, denken: „Welch
Glück ist es, daß nicht alle gutgesinnten, mit⸗
leidigen Menschen so dürstig sind, als der
ene Nachlwachterl Wie wollte ich mich
freuen, wenn es so war', wie wollte ig
dann fo lustig in mein warmes Bett zurück
kehren!
Nun, liebes Weib, stehe einmal ein wenig
auf und mache die Thür hinter mir zu.
G. W. Ch. Starke.
VI.
Dichtungen in metrisch ungebundener Rede.
110. Merops.
„Ich muß Dich doch etwas fragen,“ sprach
ein junger Adler zu einem tiessinnigen, grund—
gelehrten Uhnu. „Man sagt, es gebe einen
Vogel mit Namen Merops, der, wenn er in
die Luft steige, mit dem Schwanze voraus,
den Kopf gegen die Erde gekehrt, fliege. Ist
das wahr?“
„Ei nicht doch!“ antwortete der Uhu;
daͤs ist eine alberne Erdichtung des Men—
schen. Er mag selbst ein solcher Merops
sein, weil er nur gar zu gern den Himmel
erfliegen möchte, ohne die Erde auch nur
einen Augenblick aus dem Gesichte zu ver—
lieren.“ Lessing.
111. Der verhangene Vagel.
„Wie unglücklich wäre ich,“ sagte ein ein—
gesperrter Vogel, „in meiner ewigen Nacht
ohne die schönen Töne, die zuweilen zu mir,
wie ferne Strahlen, eindringen und meinen
perfinsterten Tag erhellen! Aber ich will auch
diese himmlischen Melodien mir einprägen
und, wie ein Echo, sie nachüben, bis ich
selber mich mit ihnen in meinen Finsternissen
trösten kann.“ — So sprach der kleine Sän—
ger und lernte die ihm vorgespielten Melo⸗
dien nachsingen. Da wurde das überge—
hangene Tuch aufgehoben; denn zum Erler⸗
war die Verfinsterung geordnet ge
wesen.
Ihr Menschen, wie oft habt Ihr nicht ge⸗
klagt über wohlthätige Verfinsterung Eurel
Tage ? Aber nur dann klagt Ihr mit Recht,
Venn Ihr nichts darin gelernt. Und ist nicht
das ganze irdische Dasein eine Verhüllung
der Psyche? Möge sie nur, wenn die Hülle
fällt, mit neuen Melodien auffliegen!
Jean Paul.
112. Die zjunge Schwalbe.
„Was macht Ihr da?“ fragte eine jung
Schwalbe die geschäftigen Ameisen. „Wit
sammeln Vorräthe für den Winter,“ war die
eshwinde Antwort. , Das ist klug,“ sagt
hie Schwalbe, „das will ich auch thun.
Und sogleich sing sie an, eine Menge lodter
Spinnen und Fuegen in ihr Nest zu tragen
— „Wer wozu soll das?“ fragte endlich die
Mullet das ist Vorrath fur den bösen
Winter, liebe Mutter. Sammle Du auchl!
Die Meisen haben mich diese Vorsicht
ehrt.“ D , Laͤß nur die Ameisen!“ versetzle