Full text: Deutsches Lesebuch für die mittleren Classen höherer Lehranstalten

Kleinere epische Dichtungen. 
87 
20 Doch oben durch die Eiche 
Rauscht es wie Geisterton, 
Als sprächen alle Zweige 
Dem Schwur des Herzogs Hohn. 
21 Und sieh! Der Festung Wälle 
Umzuckt es Blitz auf Blitz, 
Und seine Eisenbälle 
Hersandte das Geschüß 
22 Der Herzog an die Lippen 
Setzt schon des Bechers Rand; 
Doch eh' er konnte nippen, 
Entfuhr das Glas der Hand. 
23 Des Weines Tropfen spritzten 
Um Kinn und Bart und Mund; 
Des Bechers Scherben ritzten 
Die blasse Wang' ihm wund. 
24 Und der noch nie gezittert 
In heißer Schlachten Gluth, 
Ein Glas, vom Schuß zersplittert, 
Brach ihm den kecken Muth. 
25 Mit fragender Geberde 
Blickt ihn der Marschall an; 
Der Herzog sah zur Erde, 
Bis düster er begann: 
26 „Mit Menschen wollt' ich fechten 
Und hoffte Ruhm und Sieg; 
Doch mit des Schicksals Mächten 
Führt Friedland nimmer Krieg. 
27 Aziehn wir von der Feste, 
Sobald der Morgen graut! —“ 
Da rauscht es durch die Aeste 
Wie heller Jubellaut. 
238 Noch steht die Herzogseiche; 
Da sammelt jedes Jahr 
Im Schatten ihrer Zweige 
Sich froh der Bürger Schaar. 
F. Günther. 
Was sitzest Du und sinnest, wie ein ver— 
grämter Aar 
Im Horst von Folgesonde, und trotzest der 
Gefahr? 
3z Mach' auf die edlen Schwingen, und 
aus dem Sonnenbrand 
Zieh' heim in's kühl umwogte, geliebte Va— 
terland. 
Da sammle wieder eilig die alte Kraft zu 
Hauf, 
Und gehe wie das Nordlicht in blut'gen Strie⸗ 
men auf!“ 
¶ Doch trotzig spricht der König: „Schweigt; 
Ihr erlebt es nie, 
Daß ich vor ne wie eine Memme 
ieh! 
Wohl sehnt sich Nordlands Wogen mein Herz 
wie Eures zu, 
ich weiche und Achmed's 
Willen thu'!“ 
ß Da naht der Canzler Müller: „O Herr, 
Dein Häuflein schreit, 
Gedrückt vom bittern Hunger; womit erhalt' 
ich's heut?“ — 
„Schießt die aberr des Sultans Achmed 
todt; 
Da habt Ihr Fleisch, und hier ist mein eig'nes 
letztes Brot.“ 
6 Der Canzler geht mit Thränen. Bald 
krachet Schuß auf Schuß. 
Der König hebt das Auge voll Sorge und 
Verdruß, 
Denn sieh', man führet schonend sein Leibroß 
ihm zurück, 
Pistole im nächsten Au⸗ 
genblick — 
160. Karl XI. und der pommer'sche 
Bauer Müsebaek. 
7 „Halt, Halt!“ — und setzet grausam 
den Lauf ihm hinters Ohr, — 
Nie brachte je Arabien ein schönres Thier 
hervor. 
ruft Rosen, ruft Düring; 
doch er schoß, 
Und ächzend stürzt zusammen ihm sein er— 
lauchtes Roß. 
8 „Glaubt Ihr, ich sollte hungern?“ fragt 
bitter lachend er, 
Derweilen Alles schreiet: „Was macht Ihr, 
gnäd ger Herr?“ 
Doch gleich alsgahnt ihm düster schon jetzt 
sein gleich Geschig, 
er lange nicht den be— 
wegten Blick, 
1In seinem Zelt vor Bender sitzt Karl 
Kein Schach ihn un a Buch 
Von aller Welt seiner 
Der Türk dem ibabuig gemach schon 
2 Vergebens n veinen 
Vergebens Rosen: Inden Peln Un— 
gemach!
	        
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