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gleich einem starrenden Lanzenwalde wider ihre Beute, die in ihrer Todes⸗
angst rastlose, aber vergebliche Anstrengungen zur Befreiung macht. Schon
hat eine Nachbarwimper das zuckende Opfer am Nacken gepackt; eine
zweite drückt ihr rotes Köpfchen an seinen Rücken; zwei, drei kommen
bon den Seiten dazu; in wenig Minuten ist das Tierchen von einem
Dutzend Wimperköpfchen angefaßt; bald ist es von ihren Tropfen über—
flossen, erstickt, ertränkt; selbst große Fliegen und Schmetterlinge werden
schnell überwältigt. Nun wird der tote Körper von den äußern Wimpern
wie von hand zu hand nach innen fortgeschoben, bis er in die Mitte des
Blattes zu liegen kommt; nicht ein starres Pflanzenblatt glauben wir
vor uns zu sehen, sondern einen Polypen, der mit kräftigen Fangarmen
seinen Raub erfaßt und umschlingt; wir begreifen es, wenn Darwin die
Wwimpern des Sonnentaus geradezu als Fangarme bezeichnet. Im Ver—
laufe einer halben Stunde hat sich die ganze Blattfläche gleich einer ge—
schlossenen Hand über die Beute zusammengefaltet und entzieht die wei—
teren Vorgänge den Blicken des Beobachters. Wenn nach ein paar Tagen
das Blatt sich wieder öffnet, sind von dem getöteten Tierchen nur noch
verstümmelte Reste, Flügel, Beinschienen, Leibesringe übriggeblieben; alle
Wweichteile sind verzehrt; die reichliche Flüssigkeit, in der das Opfer er—
tränkt wurde, ist wieder eingesaugt, die Wimperköpfchen sind trocken. Erst
nach einiger Zeit, gewöhnlich schon am andern Tage, haben die Fang—
arme sich wieder gewissermaßen in Schlachtordnung ausgelegt; nun er—
scheinen auch die Tröpfchen wieder an den Drüsenköpfchen der Wimpern;
das Blatt ist dann gerüstet, eine neue Beute einzufangen.
Es war im Juli 1779, als ein Arzt von Bremen, Dr. Roth, zum
ersten Male die kleine Tragödie sich vor seinen Augen abspielen sah, die
wir soeben geschildert. Nichts ist spannender, nichts auch leichter zu be—
obachten; denn der Sonnentau ist in unsern Torfsümpfen äußerst ver—
breitet, und um ihn im Zimmer lebend zu erhalten, ist nichts weiter er—
forderlich, als die Pflänzchen samt dem Torfmoos, in dem sie wurzeln, in
einen Teller zu setzen und das Moos feucht zu halten, im übrigen die
pflanzen der Sonne auszusetzen und von Zeit zu Zeit mit kleinen In—
sekten zu füttern. Man glaubt, in der verkehrten Welt zu sein, wo der
hase den Jäger verfolgt, das Lamm den Wolf frißt. Wir finden es
selbstverständlich, daß die wehrlose Pflanzenwelt alle Mißhandlung und
Verheerung von seiten der Tiere stumm über sich ergehen läßt, und daß
die Insekten, von der Made bis zur Raupe, von der heuschrecke bis zum
Käfer, es am schlimmsten treiben. Und nun beobachten wir ein Gewächs,
eines der zartesten und unscheinbarsten, das sich tapfer zur Wehr setzt,
auf eigene Faust als Freischärler gegen die Erbfeinde zu Felde zieht und
seine Opfer, die es mit Sprenkel und Leimrute in den Hinterhalt gelockt,
mit kannibalischer Grausamkeit nicht bloß tötet, sondern auch gleich auf—
frißt. Man hat auf einem einzigen Sonnentaublatt die Überreste von
dreizehn gemordeten Insekten gezählt.