II. Der Minnesang und die Spielmannsdichtung.
5. Frühling.
O Freudenzeit! Nun naht der Lenz
Und all der kleinen Vöglein Sang,
Die weite Lindenkrone grünt,
Es floh der Winter schwer und lang.
Nun sieht man Blumen überall,
Die Heide prangt im bunten Schein;
Das macht so viele Herzen froh,
Und auch in mein's kehrt Trost nun ein.
Dietmar von Aist, um 1180.
— Nß ü—ñ——
b. Erinnerung.
Oben auf dem Lindenbaum
Erhob ein Vöglein seinen Sang.
Vor dem Walde ward es laut.
Aus tiefstem Herzen wieder drang
Die alte Sehnsucht neu hervor.
Ich sah da wilde Rosen steh'n,
Sie lassen zu der liebsten Frau
Mein Sinnen und mein Denken geh'n.
Dietmar von Aist, um 1180.
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7. Herbstesahnen.
Seit der Sonne lichter Schein
Von der Kälte ward bezwungen,
Seit die kleinen Vögelein
Nimmer haben mehr gesungen,
Muß ich immer traurig sein;
Denn der Winter kehrt nun ein.
Schon ist seine Macht gedrungen
Zu den Blumen allerwärts,
Deren Farben
Längst verdarben.
Darum grämt mein Herz
Sich in bittrem Schmerz.
Heinrich von Veldeke, um 1180.
8. Frühlingsahnen.
Wenn die schöne Zeit uns naht,
Die uns Gras und Blumen bringt:
Was mich auch bekümmert hat,
Alle Trauer sie bezwingt.
Es freuten sich die Vögelein,
Wenn wiederkäm' die Sommerszeit.
Laß die Welt mein eigen sein,
Mir brächte doch der Winter Leid.
Heinrich von Veldeke, um 1180.
9. Schlimme Zeiten.
Die Jahreszeit ist hell und klar,
Wie anders doch erscheint die Welt!
Trüb ist und fahl sie offenbar
Dem Blick, der in ihr Inn'res fällt.
Auch wer ihr folgt, muß eingesteh'n,
Das Böse wächst von Tag zu Tag,
Weil treulos von der Minne geh'n,
Die einst ihr treulich folgten nach.
Heinrich von Veldeke, um 1180.