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Da kam endlich der Mann, auf den die Welt so lange gewartet:
Robert Koch. Mit dem Mikroskop durchforschte er den kranken Or¬
ganismus und entdeckte eigentümliche Kleinlebewesen. Der Bazillus des
Milzbrands, der Tuberkulose, der Cholera wurden aus ihren Schlupf¬
winkeln hervorgezogen, und mit Erstaunen sah die Welt die Verwüster
des Menschengeschlechts nicht bloß bei tausendfacher Vergrößerung, sondern
sogar mit unbewaffnetem Auge. Denn Koch lehrte die winzig Kleinen
auf festem Nährboden züchten und zeigte ihre Kolonien aus Kartoffel¬
scheiben oder Gelatineplatten als graue, weiße, rote und gelbe Flecke
von eigenartigem Wachstum.
Damit war zugleich die Hoffnung derer zu Ende, die geglaubt
hatten, in dieser Welt des Kleinen, wo oft sogar die stärkste Ver¬
größerung keinen Formunterschied zeigte, werde sich der Übergang von
Art zu Art leichter finden lassen. Das Gegenteil war der Fall. Selbst
diese kleinsten Organismen hielten ihren Artcharakter durchaus fest.
Ein gewisser Siegesrausch kam jetzt über die Forscher. Mit der
Entdeckung der Krankheitserreger glaubte man auch das uralte Geheim¬
nis der Krankheit selbst entschleiert zu haben, sah man doch, daß im
Tierexperiment der Organismus den eingeführten Bazillen immer erlag.
Aber man mußte sich bald überzeugen, wie verschieden vom Laboratoriums¬
versuch die Dinge in Wirklichkeit standen. Glücklicherweise! Denn wenn
jedem in den Körper eingedrungenen spezifischen Bazilluserkrankung
gefolgt wäre, so wäre die Menschheit wohl längst ausgestorben. Es
mußte also doch wohl so etwas von dem vorhanden sein, was die Alten
„Disposition" genannt hatten.
Ebenso blieb noch eine andere Erscheinung völlig unbegriffen, wieso
nämlich nach dem Überstehen mancher Krankheiten (z. B. Scharlach,
Masern, Pocken) die „Disposition" für diese Krankheiten verloren ging.
Diese uns allen geläufige höchst seltsame Tatsache der sog. „Immunität"
hat bis in die neueste Zeit viel Kopfzerbrechen verursacht. Und doch
war man an sie schon vor mehr als hundert Jahren mit einem Ex¬
periment herangetreten, wie es großartiger und umfassender niemals
angestellt war, noch kaum jemals wieder gemacht werden wird. Ich.
meine die Einführung der Kuhpocken. Als Jenner am 14. Mai 1796
den Knaben James Phipps mit Kuhpocken impfte, tat er den ersten
Schritt zu der Beweisführung, daß auch das Überstehen einer Infektion
(Ansteckung) mit abgeschwächtem Erreger Seuchenschutz zu verleihen
vermag. Denn die Kuhpocken sind — was allerdings Jenner noch nicht
wußte — auch nur Menschenpocken, die aber durch die Tierpassage abge¬
schwächt sind. Aber beinahe drei Menschenalter mußten noch vergehen,
ehe dieses Prinzip wieder aufgenommen und nun allerdings in genialer
Folgerichtigkeit ausgebildet wurde.