Full text: [Band 5 = Ober-Tertia und Unter-Sekunda, [Schülerband]] (Band 5 = Ober-Tertia und Unter-Sekunda, [Schülerband])

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Die Majestäten hatten sich vom Balkon zurückgezogen, und nun 
sollte dem Pöbel abermals ein Opfer gebracht werden, der in solchen 
Fällen lieber die Gaben rauben als sie gelassen und dankbar emp— 
fangen will. In roheren und derberen Zeiten herrschte der Gebrauch, 
den Hhafer, gleich nachdem der Erbmarschall den Teil weggenommen, 
den Springbrunnen, nachdem der Erbschenk, die Küche, nachdem der 
Erbtruchseß sein Amt verrichtet, auf der Stelle preiszugeben. Diesmal 
aber hielt man, um alles Unglück zu verhüten, soviel es sich tun ließ, 
Ordnung und Maß. Doch fielen die alten, schadenfrohen Späße wieder 
vor, daß, wenn einer einen Sack hafer aufgepackt hatte, der andere ihm 
ein Loch hineinschnitt, und was dergleichen Artigkeiten mehr waren. 
Um den gebratenen Ochsen aber wurde diesmal wie sonst ein ernsterer 
Kampf geführt. Man konnte sich denselben nur in Masse streitig machen. 
zwei Innungen, die Metzger und Weinschröter, hatten sich hergebrachter— 
maßen wieder so postiert, daß einer von beiden dieser ungeheuere Braten 
zuteil werden mußte. Die Metzger glaubten, das größte Kecht an einen 
Ochsen zu haben, den sie unzerstückt in die Küche geliefert, die Wein— 
schröter dagegen machten Anspruch, weil die Küche in der Nähe ihres 
zunftmäßigen Aufenthaltes erbaut war, und weil sie das letztemal ob— 
gesiegt hatten; wie denn aus dem vergitterten Giebelfenster ihres Zunft— 
und Versammlungshauses die hörner jenes erbeuteten Stieres, als Sieges— 
zeichen hervorstarrend, zu sehen waren. Beide zahlreichen Innungen 
hatten sehr kräftige und tüchtige Mitglieder; wer aber diesmal den 
Sieg davongetragen, ist mir nicht mehr erinnerlich. 
Wie nun aber eine Feierlichkeit dieser Art mit etwas Gefährlichem 
und Schreckhaftem schließen soll, so war es wirklich ein fürchterlicher Augen— 
blick, als die bretterne Küche selbst preisgegeben wurde. Das Dach 
derselben wimmelte sogleich von Menschen, ohne daß man wußte, wie 
sie hinaufgekommen; die Bretter wurden losgerissen und heruntergestürzt, 
so daß man, besonders in der Ferne, denken mußte, ein jedes werde 
ein paar der Zudringenden totschlagen. In einem Nu war die Hütte 
abgedeckt, und einzelne Menschen hingen an Sparren und Balken, um 
auch diese aus den Fugen zu reißen; ja manche schwebten noch oben 
herum, als schon unten die Pfosten abgesägt waren, das Gerippe hin— 
und wiederschwankte und jähen Einsturz drohte. Zarte Personen wandten 
die Augen hinweg, und jedermann erwartete ein großes Unglück; allein 
man hörte nicht einmal von irgend einer Beschädigung, und alles war, 
obgleich heftig und gewaltsam, doch glücklich vorübergegangen. 
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