5 19 8
talien oft aus England entleihen, wo sie für 2/, bis 3 Prozent zu er—
langen waren. Der gesamte Verkehr mit dem KAuslande, zumal der
überseeische, hing noch völlig ungeordnet von tausend Zufälligkeiten ab.
Wenn der alte Goethe seinem getreuen Carlyle ein Kästchen mit Ge—
schenken senden wollte, so mußte er oft Monate lang warten, bis ein
befreundeter Hamburger Keeder ein Schiff nach Edinburg abgehen ließ.
Im Winter hörte dieser Verkehr gänzlich auf. Und dazu die schlechthin un—
berechenbaren Kosten. Wer sich nicht vorsah, konnte Wunder erleben.
Im Jahre 1834 kaufte der sächsische Konsul zu Neu-Hork im Kuftrage
seiner Regierung die neuesten Schriften über das amerikanische Eisen—
bahnwesen. Die Bücher kosteten 177) Taler; als aber die Kiste endlich
über Hhavre in Sachsen anlangte, war sie mit einer Frachtrechnung von
265 Talern 18 Groschen 3 Pf. belastet.
Jetzt, da. das Verkehrsbedürfnis überall erwachte, empfanden die
Deutschen sehr schmerzlich, daß ihr Land in dem klassischen Zeitalter
der Kanalbauten, im siebzehnten Jahrhundert, so ganz verarmt und
hilflos dagestanden hatte. Deutschland besaß keine Kanäle — mit einziger
Ausnahme der Marken und ihrer östlichen Vorlande, denen die Tatkraft
des Großen Kurfürsten und des Großen Königs trotz der Ungunst der
Zeiten einige brauchbare künstliche Wasserwege geschenkt hatte. Der
größte Teil seines weiten Gebiets sah sich also allein auf den Wagen—
verkehr angewiesen, und die Kosten der Verfrachtung auf der Achse
stellten sich auch auf den neüen Chausseen noch so hoch, daß umfängliche,
schwer ins Gewicht fallende Waren — Steine, Rohlen, holz, selbst das
Getreide — im Binnenlande nur auf kurze Entfernungen versendet werden
konnten. Das reiche Leipzig entbehrte noch immer der Bürgersteige,
weil man die schweren Granitplatten aus den entlegenen Steinbrüchen nur
zu unerschwinglichen Preisen herbeizuschaffen vermochte. Was frommten
der Landwirtschaft die befreienden Agrargesetze, was der Zollverein, solange
ihre Erzeugnisse vom großen Verkehr fast ausgeschlossen waren?
Und wie dürftig, eng, kleinstädtisch blieb noch immer die Industrie
trotz der besseren Zeiten! An Stahl erzeugte ganz Preußen im Jahre
1826 nur 62000 Zentner, an Gußstahl 1832 gar nur 94 Zentner.
Schienen und andere Eisenwaren, die nur mit Koks hergestellt werden
konnten, kamen aus England, weil die deutschen Werke meist mit den
holzkohlen aus den nahen Waldungen heizten und die Fracht für die
Steinkohlen nicht zu zahlen vermochten. Von Westfalens mächtigen Stein—
kohlenlagern wurde, wieder wegen der Frachtkosten, nur ein kleiner Teil
ausgebeutet. Die Breslauer Gewerbeausstellung von 1832 fand in einem
Stockwerke eines mittelgroßen hauses genügend Raum, und der Hus—
schuß bestimmte 100 Taler für den Ankauf der auserlesenen Pracht—