Full text: [Band 5 = Ober-Tertia und Unter-Sekunda, [Schülerband]] (Band 5 = Ober-Tertia und Unter-Sekunda, [Schülerband])

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148. Sommernacht. 
Gottfried KReller. 
1. Es wellt das Korn weit in die Kunde, 
Und wie ein Meer dehnt es sich aus; 
Doch liegt auf seinem stillen Grunde 
Nicht Seegewürm noch andrer Graus; 
Da träumen Blumen nur von Kränzen 
Und trinken der Gestirne Schein. 
O goldnes Meer, dein friedlich Glänzen 
Saugt meine Seele gierig ein. 
2. In meiner heimat grünen Talen, 
Da herrscht ein alter, schöner Brauch: 
Wenn hell die Sommersterne strahlen, 
Der Gluͤhwurm schimmert durch den Strauch, 
Dann geht ein Flüstern und ein Winken, 
Das sich dem ährenfelde naht, 
Dann geht ein nächtlich Silberblinken 
Von Sicheln durch die goldne Saat. 
3. Das sind die Bursche, jung und wacker, 
Die sammeln sich im Feld zuhauf 
Und suchen den gereiften Acker 
Der Witwe oder Waise auf, 
Die keines Vaters, keiner Brüder 
Und keines Knechtes hilfe weiß — 
Ihr schneiden sie den Segen nieder 
Die reinste Lust ziert ihren Fleiß. 
4. Schon sind die Garben fest gebunden 
Und rasch in einen King gebracht; 
Wie lieblich flohn die kurzen Stunden! 
Es war ein Spiel in kühler Nacht. 
Nun wird geschwärmt und hell gesungen 
Im Garbenkreis, bis Morgenluft 
Die nimmermüden, braunen Jungen 
zur eignen, schweren Arbeit ruft. 
149. Im Herbst. 
heinrich Seidel. 
Was rauscht zu meinen Füßen so? 
Es ist das falbe Laub vom Baum. 
Wie stand er jüngst so blütenfroh 
Am Waldessaum! 
2 
Was ruft zu meinen häuptern so? 
Der Vogel ist's im Wanderflug, 
Der noch vor kurzem sangesfroh 
zZu Neste trug. 
3 
Mein ahnend herz, was pochst du so? 
Du fühlst den Pulsschlag der Natur, 
Und daß verwehen wird also 
Auch deine Spur. 
93 *
	        
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