Full text: [Teil 2 = Klasse 8, [Schülerband]] (Teil 2 = Klasse 8, [Schülerband])

Da standen in langen Reihen die Gläser und Flaschen mit 
eingekochtem Obst; die sahen wunderhübsch aus, und das Obst 
schmeckte auch gar zu gut, allein — alle waren fest verschlossen. 
Hier war ein Töpfchen mit Sahne, dort guckten rotbackige Äpfel 
aus einem Körbchen heraus, und da stand auch der Kuchen von 
gestern, ein ganz großes Stück! Nur ein bißchen kosten von allem, 
wer das doch dürfte! Die Augen blickten immer begehrlicher in die 
Runde — und da war auch schon das Fingerlein ins Sahnetöpfchen 
gefahren, und ein Äpflein war auch eins, zwei, drei aufgegessen, 
und ein Stückchen Kuchen war aufgeknabbert. Das Händchen 
aber langte noch weiter nach der Mandeltüte — da mit einem 
Male ging die Tür auf — Röschen war so sehr erschrocken, daß 
sie zur Seite sprang; dabei stieß sie mit dem Ellbogen an das 
Sahnetöpfchen, und — pardauz — da lag es in tausend Scherben 
am Boden mitsamt seinem süßen Inhalt. 
Hatte die Mutter die Tür aufgemacht oder Marie? Nein, die 
Katze war es gewesen. Leise war sie herangeschlichen, sie wollte sich 
wohl auch einmal in Muße die Speisekammer ansehen. Da fiel das 
Töpfchen mit lautem Geklirr herab just vor Mieze hin, und die 
Sahne spritzte ihr auf ihr schwarzes Seidenfell. Die Katze war nicht 
weniger erschrocken als Röschen; mit einem Satze war sie wieder 
unter dem Küchentisch und ging hier gleich daran, sich sauber 
zu machen. 
Was aber sollte Röschen beginnen? Zitternd stand sie da 
und starrte auf den großen, weißen See am Boden. Nun 
mußte Marie bald zurückkommen, und die erzählte es dann Mama, 
und Mama wurde dann sehr, sehr böse; und übermorgen war 
Röschens Geburtstag — ach, da gab’s gewiß keinen Gabentisch! 
Wie schrecklich traurig war das alles! Was sollte sie nur beginnen? 
Weinen? Das half wohl nichts. — Schreien? Das half wohl noch 
weniger. — Zur Mutter laufen und sie um Vergebung bitten? 
Aber Mutter schlief ja! — Warten, bis Marie kam? Ach, die ging 
dann gleich zur Mama, und die wurde sehr böse, und am Ge¬ 
burtstag — So drehten sich die Gedanken wie in einem Kreise in 
ihrem Köpfchen herum. 
Die Katze saß unter dem Tisch und wusch ihr Fell; sie tat, 
als wäre nichts gewesen. 
Da, mit einem Male kam dem Röschen ein recht, recht böser 
Gedanke, „ich will’s auch so machen,“ dachte sie, „als wäre 
nichts geschehen.“ Leise, leise schlich sie aus der Kammer hinaus, 
ging auf den Fußspitzen an Mamas Stubentür vorbei, damit die 
Schlafende nicht erwache, und schlüpfte ebenso leise in die Kinder-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.