Full text: [Band 5, [Schülerband]] (Band 5, [Schülerband])

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Und über diesen türmen sich noch in geisterhafter Schönheit die 
höchsten Zinnen und Zacken des Gebirges empor: blinkende 
Schneespitzen, nur an den Schultern unterbrochen von schwärz¬ 
lichen Klippen oder blaugrünen Eisbrüchen. Der Boden dieses 
Hochtales aber ist ein Spielplatz der Gletscherbäche, die hier 
von allen Seiten her als weiße Fäden über die Moränenwälle 
und die letzten grünen Matten herabkommen. Hoch über einem 
dieser Moränenwälle, auf isolierten: Felshügel, schimmert noch 
ein kleiner Steinbau tu der Abendsonne: eins von den Unter¬ 
kunftshäusern, die der Alpenverein an den Enden der Hochtäler 
errichtet hat, dort, wo die letzten gebahnten Pfade enden, wo 
der Wanderer, der noch weiter will, sich den Steig durch die 
schreckhaften Eisgefilde selber bahnen muß. 
So ist der Charakter der Landschaft in den Tälern, die zum 
mittelsten Eiskamm der Tiroler Alpen hinanführen, zu jenem 
Eiskamnr, der von Westen nach Osten, nur an wenigen Stellen 
zu tieferen Pässen eingeschnitten, das Land durchzieht. 
Haben wir diesen Kamm überstiegen, so erschließen sich 
neue Gebirgsbilder. Aber sie sind von ganz anderer Art. Andere 
Gesteine bauen sich in abenteuerlichen Formen vor uns auf; 
statt des dunklen Fichtenwaldes, der aus der Mitternachtsseite 
der Alpen uns umrauschte, grüßen uns die saftigen Wipfel der 
Edelkastanie und des Weinstocks zierliches Blätterwerk in den 
Tälern und an den tiefern Talwänden. Und wandern wir aus 
einer der großen Talfurchen hinauf ins Gebirge, so staunen wir 
über die Mannigfaltigkeit der Gesteine, die dort aus den Tiefen 
der Erde emporgestiegen sind. Uber rebenumrankte, rote Porphyr¬ 
kuppen führt uns der Pfad empor; dann wieder an brüchigen 
Schieferwänden entlang, wo der verwitterte Steig unter den 
Füßen des Wanderers abglitscht. Und dann erreichen wir eine 
wellige grüne Hochfläche, aus der wie Trümmer fabelhafter 
Riesenbauwerke die weißen Kolosse der Dolomiten aufragen: 
Türme, Hörner und Zähne von unglaublichster Gestalt. Wir 
wandern über die Hochfläche hin an Schlünden vorüber, die, 
von pechschwarzem Porphyr gebildet, wie Zugänge zur Unter¬ 
welt uns angähnen. Zwischen zwei unersteiglich scheinenden 
Naturburgen aus Dolomit überwandern wir ein grünes, grasiges
	        
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