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die Luft mit Dampf erfüllt ist und je tiefer die Temperatur des
kühlen Luftstroms unter der des Dampfes steht, desto ergiebiger
fällt der Schnee. Bei strenger Kälte schneit es selten und stets
nur in kleinen Flittern; große Flocken fallen bloß bei mildem,
windstillem Wetter.
Daß der Schnee nicht eine formlose Masse, sondern ein
regelmäßiges, an Kristallformen der Mineralien erinnerndes
Gebilde ist, erkennen selbst die Kinder, wenn sie die an ihren Klei¬
dern haftenden Flaumen betrachten, welche meist zierlichen
Sternen gleichen. Bei reichlichem Schneefall sind die Kristalle
durch Zusammenstoß mit anderen beschädigt und durch Zu-
sannnenkleben mit mehreren anderen unkenntlich; am deut¬
lichsten und vollkommensten erscheinen sie, wenn es recht zarte
und einzelne Flitterchen schneit. Dann verdienen diese Blüten
des Winters die nähere Betrachtung aller Menschen. Man fängt
sie auf einem Stück dunklen Tuches oder auf einer Schiefertafel,
die man gründlich abgekühlt hat, auf und betrachtet sie in einen:
kalten Raume. Da erfreut man sich dann einer wahren Augen¬
weide. Derselbe Grundplan, nach welchem die Bienenzellen und
die Blüten der Zwiebelgewächse angelegt sind, das regelmäßige
Sechseck, liegt diesen Eisgebilden zu Grunde. Vom Mittelpunkte
gehen sechs Strahlen unter Winkeln von sechzig Grad ab — das
ist das einfache Grundgesetz; aber wie schön und reich sind die
Variationen, welche der gestaltende Frost über dieses schlichte
Thema spielt! Bald ist es ein Stern ohne Körper, dessen sechs
Strahlen einfach, oder gefiedert, oder verästelt und mit allerlei
Zierart behängen sind, bald eine sechsseitige Scheibe, welche in
ihren: Körper mannigfache Verzierungen und oft an ihrem
Rande hübsche Schnmckanhängsel trägt. Man wird dein: Be¬
schauen dieser niedlichen Bildungen oft an die gefälligen, rosetten¬
ähnlichen Formen erinnert, welche das Kaleidoskop sehen läßt.
Scoresby, der sich mit diesen Kristallbildungen, die schon Kepler
bewuuderte, tiefer eingehend beschäftigte, bildet in der Beschrei¬
bung seiner Polarmeerfahrten über neunzig Arten von Schnee-
kristallen ab; so vielerlei scheinen zwar in unseren Breiten nicht
vorzukommen, indes ist ihre Mannigfaltigkeit auch hier ansehnlich.
Bei jeden: Schneefall herrscht eine besondere Kristallforn: vor.