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52. Wenn man zwei Ding' auf ein¬
mal lut,
Geraten beide selten gut.
53. Man mag wohl fangen Weib
und Mann;
Gedanken niemand fangen kann.
54. Es war kein Kaiser noch so reich,
Ich bin ihm in Gedanken gleich.
55. Mich dünkt, wenn ich alleine bin,
Ms hatt' ich tausend Männer Sinn,
Und komm' ich hin, wo Leute sind,
So bin ich dümmer als ein Kind.
56. So wohl ist keinem noch ge¬
schehn,
Er sollte doch zur Erde sehn;
Denn von der Erd' ist er genommen,
Und soll zur Erde wieder kommen.
57. Man mag mit allen Sinnen
Dem Tode nicht entrinnen.
58. Wie je die Leute warben,
Sie sorgten, bis sie starben,
Und wie sie jetzt noch werben,
Sie sorgen, bis sie sterben.
59. Ich weiß, mir ist der Tod bereit;
Nur weiß ich nicht des Todes Zeit, f
Ul. Hauptabschnitt.
Der Ausgang des Mittelalters; der Zerfall der Poesie
und das Erstarken der Prosa.
Zehntes Kapitel.
Die Meistersinger.
Von den Höfen der Fürsten war der Gesang gewichen, und die in
den Hader der Zeit verwickelte Geistlichkeit hatte sich von der Pflege der
Kunst abgewendet. Auch die Hebung der Wissenschaft, die von den neuge¬
gründeten deutschen Universitäten außerordentlich gefördert wurde, brachte
der Dichtkunst geringen Gewinn.
Nur in den Städten, in den Bürgerhäusern und Zunftstuben wurde
der Gesang noch geübt; freilich war seine jetzige Art nicht zu vergleichen
mit seinem Glanze in der Hohenstaufenzeit; das Vornehme seines Wesens
war geschwunden und hatte einem einseitigen Betonen von Formgesetzen
den Platz geräumt; seine Lebensauffassung war trocken und nüchtern. So
entstand eine Dichtung, die man in ihrer Gesamtheit mit dem Namen
Meistergesang bezeichnete. Als der Begründer desselben gilt der 1318
zu Mainz gestorbene Meister Heinrich von Meißen. Er war ein weit¬
gereister, vielbelesener Mann von einer tüchtigen, vorurteilsfreien Denk¬
weise; in seiner Kunst hat er sich den Meister Konrad von Würzburg zum
Vorbilde genommen, überbietet jedoch noch dessen schwülstige Schreibweise.
Zu dauernden Ehren wurde der Meistergesang gebracht durch seinen
größten Vertreter Hans Sachs.
Er ist ein Sohn der durch Eewerbfleiß und Kunstsinn ausgezeichneten
Reichsstadt Nürnberg. 1494 wurde er geboren; sein Vater, ein Schneider,
schickte ihn mit sieben Jahren in die lateinische Schule; als er 15 Jahre