alten Kraterränder eingesenkt, und eine anmutige, langsam geschwungene
Linie zieht von der Spitze des Kegels in stetigem Fluß zur Ebene oder
zum Meere hinab, nirgends schöner als beim Vesuv, auf dem noch
immer jene aus Dampf gebildete Pinie schwebt, von der der jüngere
Plinius* dem Tacitus* Mitteilung macht.
Tritt man den Stätten vulkanischer Tätigkeit näher, da verschwindet
freilich die Anmut der Formen: erstarrte, in Klumpen und Schollen zer-
sprungene Lavafelder reichen in breitem, schwarzem Strom bis zu den
Gärten der Menschen; von zerborstenen Wällen rieselt die Asche nieder;
auf dem dunkeln, abschüssigen, unter den Tritten knisternden Boden
rollen feuergefärbte Blöcke und erklingen metallisch unter dem Schlage
des Hammers; der Atem der Hölle dampft aus Rissen und Spalten,
indes in ergreifendem Gegensatz wenige Stunden abwärts Ol und Wein
und goldene Früchte die fruchtbare Ebene füllen. — Ein anderer, schwer¬
mütiger Charakter spricht aus. den Kampagnen einst blühender alter
Städte, vor allem aus der von Rom, deren Reize, je länger man mit
ihnen verkehrt, um so inniger das Gemüt ergreifen. Aufschwellungen
des Tuffbodens*, struppige Gräser und Dorngesträuch, halbvergrabene
Ruinen, zerbrochene Bogen der Wasserleitungen, ein einsames Haus,
Hirten auf Pferden, am Horizont unendlich weite Linien — alles dies
gibt auf Wanderungen durch die römische Campagna tausend und aber
tausend anziehende Bilder des Erdlebens, für die man erst allmählich
ein Auge gewinnt und die nur der recht faßt, der nach Goethes Aus¬
druck „Freundschaft mit der Erde" geschlossen hat. Meist haben diese
Ebenen durch Aufschwemmung der Flüsse Grabmäler und Trümmer
des Altertums immer tiefer unter Schlamm und Erde vergraben: so
in der herrlichen Campagna von Pästum*, in den Snmpfgefilden von
Sybaris* und Kroton*. Nicht bloß Erdbeben und Sturm und Regen,
auch die nicht mehr gezügelten Bäche und Ströme haben das Gebild
von Menschenhand zerstöit und den Boden umgestaltet.
Daß die Bergformen im klassischen Süden schöner modelliert* sind
als im Norden der Alpen, scheint dem Satze zu widersprechen, nach dem
dieselbe Gebirgsart unter jeder geographischen Breite dieselbe Gestalt
zeigt. Wir wissen nicht, wie es sich damit verhalten mag; vielleicht
bewirkt nur die reinere Luft, daß der Aufbau des Gebirges sich hier
edler darstellt und dem künstlerisch sehenden Auge reizender erscheint.
Denn während im Norden die Formen stumpf, die Farben schmutzig,
die Schatten schwer und trübe erscheinen, ist hier allem Körperlichen
die Schwere genommen und den Dingen zugleich Bestimmtheit und
Leichtigkeit gegeben. Nichts kann daher verschiedener sein als eine Tour
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