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flüsterten, mit Stein ausgelegten Kammer sorgfältig verborgen. Löst
sich der Zauber gegen Abend, dann kommen Frauen und Mädchen hervor
und betreten die Veranda*; es beginnt das unbeschreibliche Farben¬
spiel der Abendröte, die in den feinsten Abstufungen und leisesten Über-
gängen vom hellsten Rosenrot bis zum glühendsten Purpur und dunkelsten
Violett Himmel und Erde verklärt. Besonders in den Schluchten des
Gebirges wallt dann farbiger Hauch und bläuliches Dunkel mit so
wunderbarem Wechsel durcheinander, daß alle Wirklichkeit wie in eine
Phantasiewelt* sich aufgelöst zu haben scheint.
Zu diesem Himmel, dieser Gebirgsbildung stimmt denn auch Form
und Farbe der Pflanzenwelt aufs genaueste. Die italienische Vegetation*
ist starr, ernst und still, von gebundener, strenger Gestalt. Hier wogt
das Laub nicht in verfließenden Umrissen, von Elfenstimmen durch¬
flüstert wie im Norden, sondern lederartig, undurchsichtig, unbewegt
ruht es auf dem lichten Hintergründe des Himmels. Die beiden Haupt¬
charakterbäume des Südens, die Pinie und die Zypresse, sind beide
ganz architektonisch* gebaut: die Pinie als eine reingewölbte Kuppel,
die Zypresse als schwarzer Obelisk* aufstrebend oder als Pfeil oder
Flamme gegen den Himmel gerichtet. Die Krone der Dattelpalme
schwebt wie ein Springbrunnen in gebogenen Strahlen; wie ein Arm¬
leuchter ruht auf grüner Rosette* der baumhohe Blütenstengel der Agave;
ferne Orangengruppen, Lorbeerwände, Myrtengebüsche blicken starr
gleich der Felsenlinie über ihnen, als wären sie aus Lava oder Basalt
gemeißelt. Alles ist lautlos, fertig, völlig gestaltet und darum ohne
Streben und Verlangen. Und was von der Form, gilt ebensosehr
von der Farbe. Der Glanz der immergrünen Gewächse ist ein düsterer,
fast metallischer. Durchgängig erscheint das Grün in Italien nicht
lachend, sondern schwärzlich, wovon der Grund in dem reicheren durch
die Kraft der Sonne in der Pflanze entwickelten Chlorophyll* liegt.
Im allgemeinen trägt das Land im Süden — und dies ist, was
den Nordländer anfangs am meisten verwirrt — eine einförmige, ernste
Färbung. Die Natur malt hier einfarbig und zwar mit bräunlich gelbem
Grundton: Himmel und Erde, Pflanzen und Berge, alles wird wie bei
pompejanischen Bildern von der einen traurig stillen, tiefgesättigten Felsen¬
farbe beherrscht. Die Vegetation, von dunklem, blauem Ansehen, schließt
sich an die rotbraun brennenden Bergwände an, als gehörte sie zu
ihnen; die staubig gelbe Ebene trägt die rotfarbenen Halme der reifen¬
den Früchte; weißliche Steinpfade schlängeln sich zwischen blaugrünen
Kaktushecken, auf denen dicker Kalkstaub ruht; in rötlichem Goldton
glänzen die Säulen, die Backsteinmauern der Ruinen; Städte, Schlösser
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