62 21 a. Der Zusammenbruch des Römerreichs und der alten Kultur.
und in immer höhere Kreise dringende religiöse Bewegung, die im
90 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. zu der großen Religionskonkurrenz führt,
aus der das Christentum als Sieger hervorgegangen ist.
Auch auf politischem und militärischem Gebiet entsinkt die Füh¬
rung den Gebildeten und geht auf die Massen über.
Aus militärischem Gebiet beginnt die Heranziehung der
95 Provinzialen zum Dienst in den bis dahin allein den römischen Bürgern
offen stehenden Legionen unter Cäsar und den Triumvirn. Die Neigung
der Bürger der Anwerbung zu folgen wird immer geringer und so
wird man gezwungen, in immer weiterem Umfang auch die Nicht¬
bürger zu den Legionen heranzuziehen. Schon die Heere der Triumvirn,
ioo die bei der großen Ackerverteilung des Zahres 42/41, bei der Einziehung
des Grundbesitzes von 16 italischen Städten, auf das unglückliche
Italien losgelassen werden, waren großenteils zu Bürgern gemachte
Barbaren. Unter den Flaviern verschwinden die Bewohner Italiens
aus dem Heeresdienst. Seit Hadrian wird die örtliche Rekrutierung
los eingeführt, d. h. die Kulturländer, die pazifizierten Provinzen, in
denen keine Heere stehen, werden tatsächlich vom Kriegsdienst befreit.
Seit der Mitte des 2. Jahrhunderts sind die wirklichen römischen Bürger
auch in den Provinzen tatsächlich nicht mehr dienstpflichtig. Allmählich
beschränkt sich die Aushebung lediglich auf die Landdistrikte; die Ge-
iio bildeten, die Städter sind nicht mehr dienstpflichtig, sie haben das
Schwert aus der Hand gegeben. Die Folgen treten in den furchtbaren
Zuständen des 3. Jahrhunderts klar zutage: die rohe Soldateska be¬
mächtigt sich der Herrschaft und reißt sich ein halbes Fahrhundert lang
um die Beute, sie erhebt einen General nach dem andern auf den
ii5 Thron — je ungebildeter er ist, desto willkommener — um ihn ebenso
rasch wieder zu stürzen. Die Monarchie Diokletians ist bekanntlich
noch einen Schritt weiter gegangen; sie entnimmt die besten Truppen
nicht mehr den Untertanen, sondern den Vorländern des Reiches und
führt damit die Barbaren selbst in das Reich hinein.
i20 In derselben Zeit vollzieht sich der Untergang der städtischen
Selb st Verwaltung. Sie wird allmählich durch die Entwicklung
der Reichsbeamtenschaft, durch die immer weitere Ausdehnung der
Oberaufsicht und Überwachung durch die Reichsorgane überwuchert.
Wenn sich früher die reichen Leute zu den Ehrenämtern drängten,
i25 wird jetzt die Übernahme des Gemeindeamts und der Ratsstellen eine
drückende Verpflichtung, der sich jeder zu entziehen sucht. Dazu kommt
die wachsende Gleichgültigkeit der Gebildeten gegen das politische
Leben: jeder Anteil an der großen Politik ist ihnen genommen, jetzt
wird auch ihre Mitwirkung bei der Lokalverwaltung immer mehr
i3o beschränkt; sie leben unter einer väterlichen, göttlichen Regierung: was
sollen sie sich noch um das Regiment kümmern? Daher wird die Teil¬
nahmslosigkeit, die weltflüchtige, sich den Fügungen des Geschicks