Lam pert: Keimung und Krautbildung der Pflanzen. 161
denn sie wähnten sich ihrer Sache bereits ganz sicher. Und auf der ganzen
Welt alle Menschen, Tiere, Bäume, Berge und Felsen vergossen Tränen,
so daß bereits Jubel die Herzen der Boten erfüllte. Da, auf dem Rück¬
wege, trafen sic ein Weib, mit Namen Thöck, das sich weigerte, Zähren
zu vergießen, sondern sagte: „Laßt die Unterwelt ihren Raub behalten!"
Man glaubte nun zwar, daß es der arge Loke gewesen sei, welcher diese
Gestalt angenommen habe, doch das half nichts mehr, der teure Weise
war den Äsen für immer verloren.
Jedenfalls liegt in dieser naiven Sage die lebenswahre Lehre, daß
man auch das Kleine und Geringste nicht mißachten dürfe.
50. Keimung und KrnntbUdnng der pflanzen.
Lam pert, Charakterbilder aus dem Gesamtgebiete der Natur.
Die Keimung oder die selbständige Entwickelung des im Samen
schlummernden Lebenskeimes zeigt sich bedingt von gewissen äußeren Ein¬
flüssen. Sie findet nämlich nur statt bei angemessener Wärme (mindestens
4—7" C.), hinlänglicher Feuchtigkeit und bei Zutritt der atmosphärischen
Luft. Sind diese Bedingungen vorhanden, so beginnt die Keimung durch
Aufnahme der Feuchtigkeit; infolge dieser Einsaugung schwillt das Innere
der Samen an und sprengt die Hüllen, worauf das Würzelchen als der
zilerst sich entwickelnde Teil hervortritt. Diese Einsaugung und die daraus
folgende Anschwellung geschieht übrigens mit einer bedeutenden Kraft, die
bei einer größeren Anzahl von Samen sich zu einer sehr beträchtlichen
Gesamtwirkung summieren kann. Wenn man keimende Erbsen mit Ge¬
wichten belastet, so findet man, daß sie eine bedeiltende Anzahl von Pfunden
emporzuheben imstande sind.
Das aus den gesprengten Samenhäuten hervortretende Würzelchen
richtet sich stets nach abwärts; dadurch wächst es, gleichviel welche Lage
der Same gehabt haben mag, in die Erde hinein, befestigt das Pflänzchen
in derselben und dringt in dem Verhältnisse, wie es weiter wächst und
sich verzweigt, immer tiefer in den Boden ein, aus welchen: von nun an
die junge Pflanze, wenigstens zu einem beträchtlichen Teile, ihre Nahrung
zieht. Es ist aber diese Richtung des Würzelchens nach unten, also gegen
den Mittelpunkt der Erde zu, eine Eigentümlichkeit aller Samen, die wir
bis jetzt nicht genügend zu erklären wissen. Denn weder die Schwere kann
hierbei wirksam gedacht werden, noch auch etwa eine anziehende Wirkung
des nährenden Erdreiches. Dagegen sprechen mancherlei Erscheinungen, die
man am leichtesten an Kressensamen beobachten kann, welche bekanntlich
angefeuchtet sich mit einer klebrigen Schleimschicht überziehen und außerdem
sehr leicht und schnell keimen. Bringt man diese in einem wagerecht
gestellten Blumentöpfe so an, daß sie an der vertikalen Fläche des Erdreiches
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