136. Ein neuer Prophet.
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2. Maiglöckchen thut läuten:
Bim-bambam!
Was hat das zu bedeuten? —
Frühling ist Bräutigam!
Macht Hochzeit mit der Erde heut
Mit großer Pracht und Festlichkeit.
Wohlauf denn, Nelk' und Tulipán,
Und schwenkt die bunte Hochzeitsfahn'!
Tu Ros' und Lilie schmückt euch sein,
Brautjungfern sollt ihr heute sein!
Ihr Schmetterling'
Sollt bunt und flink
Ten Hochzeitsreigen führen;
Die Vögel musizieren!
3. Blauglöckchen thut läuten:
Bim-bim-bittt!
j Was hat das zu bedeuten? —-
Ach das ist gar zu schlimm!
Heut Nacht der Frühling scheiden muß;
Drum bringt man ihm d.Abschiedsgruß;
Glühwürmchen ziehn mit Lichtern hell;
Es rauscht der Wald, es klagt der Quell;
Dazwischen singt mit süßem Schall
Aus jedem Busch die Nachtigall
- Und wird ihr Lied
Sobald nicht müd'.
Ist auch der Frühling schon ferne,
Sie hatten ihn alle so gerne.
*136. Ein neuer Prophet.
Georg S ch e u r l i n.
Heidebluinen. Heidelberg 1858. S. 72.
Es schallt ein Jauchzen in allen Landen
Von einem Propheten, der auferstanden;
Ter that auf Bergen, Fels und Gründen,
In Wald und Auen, nah und fern,
Tas Evangelium des Herrn 5
Mit wundersamer Kraft verkünden.
Ein grüner Mantel —' sein Gewand —
Den schlägt er faltig um die Hüfte;
Ein Mosesstab ist ihm zur Hand,
Womit er weckt den Staub der Grüfte; 10
Von seinen Tritten ziehn die Düfte
In würz'ger Fülle durch das Land.
Wer immer komint zu Lab' und Rast,
Ter ist ihm Freund, der ist ihm Gast
Und froh geladen ihm zuni Mahle. 15
Sein Trunk ist echt, die Labe gut;
Doch rinnt ihm nicht der Traube Blut —
Er schöpft aus kühler Felsenschale.
Nicht hat der Edle Haus und Fach;
Er flieht die dumpfe Mauerzelle 20
Und haust in freier Waldeskühle,
Wo, hingestreckt auf moos'gem Pfühle,
Er sich den Himmel nimmt zum Dach
Und Berg und Felsen als Kapelle.
So zieht er durch der Christen Reich 25
Und zieht der Heiden ferne Straßen —
Ein Priester, wie ihm keiner gleich,
Ein Pred'ger über alle Maßen.
Er ruft so Sündern wie den Frommen:
Tas Himmelreich ist nahe kommen! 30
Herbei, ihr Blinden, Lahmen, Tauben,
Ihr Gottverlornen — hört und schaut,
Tie Wunder, die euch rings erbaut,
Und lernt im Schmuck der Erde glauben,
Was euch ein göttlich Wort vertraut. 35
! Herbei ihr Seelen, müd' und krank!
Wer nie vom Brot des Lebens speiste
Und nie vom Born der Sel'gen trank —
Heran zu solcher heil'gen Traufe;
Nicht Wasser biet' ich euch — ich taufe 40
Mit Feuer euch und mit dem Geist.
Und seht, in dichtgedrängten Scharen,
Bon allen Völkern, allen Zungen
Entströmt die Menge ihren Klausen,
Den Dingen lauschend die sich draußen, 45
In Wald und Gründen offenbaren.
Und allen ists in Herz gedrungen;
Denn jeder fühlt und jeder hört,
Wie tief auch sonst sein Sinn bethört,
Den hohen, himmlischen Propheten 50
In seines Volkes Zunge reden.
Des schallt ein Jauchzen in allen Lenden:
Dem Herrn sei Preis in weiter Welt;
Denn sein Prophet, ein Friedensheld —
Ter Frühling — ist uns auferstanden! 55
Marschatl, Lesebuch für höhere Lehranstalten II.
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