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41. Niobe.
Töchter, sieben starke Söhne, bald eben so viele Eidame und Schwieger¬
töchter. Fraget nun, ob ich auch Grund habe, stolz zu sein! Waget es
noch ferner, mir Eatona, die unbekannte Titanentochter, vorzuziehen,
welcher einst die breite Erde keinen Raum gegönnt hat, wo sie den
Jupiter gebären konnte, bis die schwimmende Insel Delos der Umher¬
schweifenden aus Mitleid ihren unbefestigten Sitz darbot. Wer leugnet,
dass ich glücklich bin; wer zweifelt, dass ich glücklich bleibe? Fortuna
hätte viel zu thun, wenn sie gründlich meinem Besitze schaden wollte!
Nehme sie mir dies oder jenes, selbst von der Schar meiner Gehörnen,
wann wird je ihr Haufe zu der armen Zwillingszahl Latones herunter¬
sinken? Darum fort mit den Opfern, heraus aus den Haaren mit dem
Lorbeer! Zerstreuet euch in eure Häuser und lasst euch nicht wieder
über so thörichtem Beginnen treffen!“
Erschrocken nahmen die Frauen die Kränze vom Haupte, liessen
die Opfer unvollendet und schlichen nachhause, mit stillen Gebeten die
gekränkte Gottheit verehrend.
Auf dem Gipfel des delischen Berges Kynthos stand mit ihren
Zwillingen Eatona und schaute mit ihrem Götterauge, was in dem fernen
Theben vorging. „Seht, Kinder, ich, eure Mutter, die auf eure Geburt
so stolz ist, die keiner Göttin ausser Juno weicht, werde von einer frechen
Sterblichen geschmäht, ich werde von den alten heiligen Altären hinweg
gestofsen, wenn ihr mir nicht beisteht, meine Kinder! Ja, auch ihr wer¬
det von Niobe beschimpft, werdet ihrem Kinderhaufen von ihr nach¬
gesetzt!“ Latone wollte zu ihrer Erzählung noch Bitten hinzufügen, aber
Phöbus unterbrach sie und sprach: „Lass die Klage, Mutter; sie hält
die Strafe nur auf!“ Ihm stimmte seine Schwester bei; beide hüllten sich
in eine Wolkendecke, und mit einem raschen Schwünge durch die Lüfte
hatten sie die Stadt und Burg des Kadmos erreicht. Hier breitete sich
vor den Mauern ein geräumiges Blachfeld aus, das nicht für die Saat
bestimmt, sondern den Wettläufen und Übungen zu Ross und Wagen
gewidmet war. Da belustigten sich eben die sieben Söhne Amphions:
die einen bestiegen mutige Rosse, die anderen erfreuten sich des Ring¬
spieles. Der älteste, Ismenos, trieb eben sein Tier im Viertelstrabe
sicher im Kreise um, den schäumenden Rachen ihm bändigefid, als er
plötzlich „Wehe mir!“ ausrief, den Zaum aus den erschlaffenden Händen
fahren liess und, einen Pfeil mitten ins Herz geheftet, langsam rechts
am Buge des Rosses heruntersank. Sein Bruder Sipylos, der ihm zu¬
nächst sich tummelte, hatte das Gerassel des Köchers in den Lüften
gehört und floh, mit verhängtem Zügel, wie ein Steuermann vor dem