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74. Attila in Italien.
74. Attila in Italien.
. Ferd. Gregorovius.
Geschichte der Stadt Rom. Stuttgart 1869. Bd- 1. S- 185.
Viele Gründe trieben den König der Hunnen, statt sich aus Kon¬
stantinopel zu werfen, seine Völker über den Westen und die Provinzen
Galliens zu ergießen. Wir folgen nicht den Spuren dieser entsetzlichen
Verheerungen; wir sehen nur mit Befriedigung dieselben Westgoten, welche
einst Rom geplündert hatten, jetzt als Kämpfer für die römische Bildung
mit den Scharen des Aetius sich vereinigen und Römer wie Germanen, ihrer
Verschmelzung bewußt, die sarmatischen Horden auf den katalaunischen Fel¬
dern glorreich bekämpfen. Eine der größten Völkerschlachten, welche die
Geschichte Europas kennt, war die letzte heroische That des römischen Reiches;
wie sie seinen Untergang mit Glanz umgibt, so ehrt sie auch das Andenken
der Goten und reinigt es von dem Hasse der Plünderung Roms. Der
geschlagene Hunnenkönig raffte den Rest seiner Völker zusammen und kehrte
nach dem niederen Pannonien zurück, aber nur, um die Winterruhe zur
Ansammlung neuer Streitkräfte zu benutzen und dann im Frühjahre 452
über die julischen Alpen nach Italien herabzusteigen, die Hand seiner Ver¬
lobten, H ihr Erbe und die von ihm beanspruchten Titel an sich zu nehmen.
Aus seinem Zuge von Friaul her zermalmte er die unglücklichen Städte von
Venetien, Jnsubrien und der Ämilia und machte dann an der Stelle halt,
wo der Mincius in den Pofluß sich ergießt. Zwischen ihm und Rom stand
weder eine Festung noch ein Heer; denn der römische General Aätius be¬
fand sich in Gallien, wo er nur mit Mühe Kriegsvölker zusammenbrachte,
und die ummauerten Städte, welche Attilas Marsch noch hemmen konnten,
versprachen nicht, wie das unselige und heldenmütige Aguileja, eine drei¬
monatliche Belagerung auszuhalten. Der feige Valentinian hatte nicht
einmal in Ravenna sich zu behaupten versucht, sondern er war in Rom,
wehrloser als einst Honorius. Die schlecht gerüstete Stadt sah sich einem
unmenschlichen Feinde blvßgestellt, und die verzweifelten Römer, nicht einmal
mehr des Entschlusses fähig, sich zu bewaffneu und ihre Mauern zu ver¬
teidigen, sagten sich mit Entsetzen, daß sie von Attilü, dessen Würgerhände
vom Blute Aquilejas trieften, nicht das Erbarmen hoffen durften, welches
ihnen der großnmtige Alarich geschenkt hatte. In dieser Not entschied sich
der Senat zu einer feierlichen Gesandtschaft, um vom Hunnenkönige den
Frieden und Rückzug zu erbitten. Die angesehensten Männer Roms, der
Konsular Aviöuus, das Haupt des Senats, Trigctius, ehemals Präsekt
') Honoria, Schwester des Kaisers Valentinian III., soll dem Attila
durch Übersendung eines Rmges ihre Hand angeboten haben.