Full text: Für Klasse 3 (achtes Schuljahr) und die Untertertia der Studienanstalten (Teil 7, [Schülerband])

sie. Der gute Mann hat in die Fremde gehen müssen; aber die Rosen, 
die er selber pflanzte, hatten schon die ganze Front seines großen 
Hauses überzogen, Jetzt wohnt der neue Bürgermeister darin. Als 
ich im Vorübergehen die geputzten Kinder mit ihrem lauten, fremden 
Geplapper die schönen dunkelroten Rosen vom Spalier herabreißen sah 
— mir war's, als müßte Blut herausfließen." 
Ihr East^schwieg noch immer; aber um seine Lippen zuckte es, 
als stiege ein schmerz auf, den er vergebens zu bekämpfen suche. 
„Wir sind mit dem Senator aufgewachsen," begann sie wieder, 
„mein Bruder und ich; wir waren Nachbarskinder." — Und mit diesen 
Worten trat ein Lächeln in ihr Antlitz, als blickte sie unter sich in 
eine sonnige Landschaft. „Es waren arge Buben damals, die beiden," 
sagte sie, „sie haben mich was Ehrliches geplagt." 
Mamsell hatte die Hände in ihrem Schoß gefaltet und blickte 
durchs Fenster auf die Heide hinaus. Das feuchte Kraut der Eriken 
glitzerte in dem Scheine der untergehenden Sonne; und, wie schwim¬ 
mend in Duft gehüllt, stand fern am Horizont der spitze Turm der Stadt. 
Auch das alte Mädchen saß da, vom blassen Abendschein umflossen. 
Es war ein Antlitz voll stillen Friedens, in dem freilich der Zug des 
Entsagens auch nicht fehlte; aber er war nicht herbe, es mochte wohl 
nur ein bescheidenes Glück sein, das hier vergeblich erhofft worden war. 
„Nach unsers Vaters Tode," sagte sie leise, „war der Senator mir 
ein hilfreicher Freund, ich habe lange in seinem Hause gelebt, und 
später hat er mir dann auf meine Bitten diesen Posten hier gegeben. 
Es ist jetzt der rechte Platz für einen einsamen, alten Menschen." 
„Aber," sagte der Lehrer und legte den Teelöffel sorgfältig über 
die geleerte Tasse, „hieß es nicht vor Jahren einmal, liebe Mamsell, 
daß oie den ledigen Stand hätten verrücken wollen?" 
Sie schlug die Augen nieder und strich mit der flachen Hand ein 
paarmal über das Damasttuch. „Ja," sagte sie dann, indem sie auf 
ein getuschtes Profilbildchen blickte, das in einem Strohblumenkranz 
über der Kommode hing. „Vor Jahren, Herr Lehrer; aber es kam 
anders, als wir gedacht hatten." 
Der Lehrer war aufgestanden und besichtigte das Bild. „Ja, ja," 
sagte er, „der alte Ehrenfried, wie er leibte und lebte; der Herr Senator 
haben bis zu seinem Tode große Stücke auf ihn gehalten; ich habe 
manches Päckchen Schnupftabak von ihm zugewogen bekommen." 
Die Haushälterin nickte. „Ich mag es Ihnen wohl erzählen,"
	        
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