Full text: [Teil 3 = Klasse 2 und 1, [Schülerband]] (Teil 3 = Klasse 2 und 1, [Schülerband])

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ein Schatten oder ein Esel?" war immer die erste Frage, welche die 
gemeinen Bürger aneinander taten, wenn sie sich auf der Straße oder 
in der Schenke antrafen; und wenn einem Schatten gerade das Unglück 
begegnete, an einem solchen Grte der einzige seinesgleichen unter einer 
Unzahl von Eseln zu sein, so blieb ihm, wofern er sich nicht gleich mit 
der Flucht rettete, nichts übrig, als entweder auf der Stelle seine 
Unsicht zu wechseln oder sich mit tüchtigen Stößen zur Tür hinaus¬ 
werfen zu lassen. 
Die Zeit steigerte die feindselige Stimmung beider Parteien so 
sehr, daß, als endlich der Tag der Entscheidung erschien, der große Uat 
von Ubdera sich in der äußersten Verlegenheit befand, wie er die Sache 
endügltig schlichten sollte, ohne die unversöhnliche Feindschaft unter der - 
Bürgerschaft aus ewige Zeiten zu befestigen. Wirklich ist es schwer zu 
sagen, was für ein XTTittel sie endlich ergriffen haben würden, um mit 
Ehren aus der Sache zu kommen, wenn der Zufall, der zu allen Zeiten 
der große Schutzgott aller Ubderiten gewesen ist, sich ihrer nicht an¬ 
genommen hätte. 
Der Esel war bis zum Uustrag der Sache in den öffentlichen Stall 
der Republik abgeführt und daselbst notdürftig verpflegt worden. Un 
dem Morgen nun, als die Sitzung des großen Rates stattfand, war es 
den Stallbedienten der Republik, welche wußten, daß der Handel zu Ende 
gehen sollte, auf einmal eingefallen, der Esel, der doch eine Hauptperson 
bei der Sache vorstellte, sollte billig auch von der Partie sein. Sie 
hatten ihn also gestriegelt, mit Blumenkränzen und Bändern heraus¬ 
geputzt und brachten ihn nun unter der Begleitung und dem Nach¬ 
jauchzen unzähliger Gassenjungen in großem Pomp auf den Marktplatz 
geführt, wo die gesamte Bürgerschaft Rbderas in dichten Haufen das 
Rathaus umstand und in gespannter Erwartung der Entscheidung des 
hochweisen Rates entgegensah, während die armen Richter im Sitzungs¬ 
saale sich gar nicht mehr zu helfen wußten. 
Der Lärm, den die Gassenjungen um den Esel her machten, drehte 
jedermanns Rügen nach der Seite, woher er kam. Man stutzte und 
drängte sich hinzu, „ha!" rief endlich einer aus dem Volke, „da kommt 
der Esel selbst!" „Er wird den Richtern wohl zu einem Russpruch 
helfen wollen," sagte ein andrer. „Der verdammte Esel!" rief ein dritter, 
„er hat uns alle zugrunde gerichtet! Ich wollte, daß ihn die Wölfe 
gefressen hätten, ehe er uns diesen gottlosen Handel auf den hals zog!" 
„heida!" schrie ein Resselflicker, der immer einer der eifrigsten Schatten 
gewesen war, „was ein braver Rbderit ist, über den Esel her! Er soll 
uns die Zeche bezahlen. Laßt nicht ein haar aus seinem schäbigen 
Schwanz von ihm übrig bleiben!"
	        
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