112
ein Schatten oder ein Esel?" war immer die erste Frage, welche die
gemeinen Bürger aneinander taten, wenn sie sich auf der Straße oder
in der Schenke antrafen; und wenn einem Schatten gerade das Unglück
begegnete, an einem solchen Grte der einzige seinesgleichen unter einer
Unzahl von Eseln zu sein, so blieb ihm, wofern er sich nicht gleich mit
der Flucht rettete, nichts übrig, als entweder auf der Stelle seine
Unsicht zu wechseln oder sich mit tüchtigen Stößen zur Tür hinaus¬
werfen zu lassen.
Die Zeit steigerte die feindselige Stimmung beider Parteien so
sehr, daß, als endlich der Tag der Entscheidung erschien, der große Uat
von Ubdera sich in der äußersten Verlegenheit befand, wie er die Sache
endügltig schlichten sollte, ohne die unversöhnliche Feindschaft unter der -
Bürgerschaft aus ewige Zeiten zu befestigen. Wirklich ist es schwer zu
sagen, was für ein XTTittel sie endlich ergriffen haben würden, um mit
Ehren aus der Sache zu kommen, wenn der Zufall, der zu allen Zeiten
der große Schutzgott aller Ubderiten gewesen ist, sich ihrer nicht an¬
genommen hätte.
Der Esel war bis zum Uustrag der Sache in den öffentlichen Stall
der Republik abgeführt und daselbst notdürftig verpflegt worden. Un
dem Morgen nun, als die Sitzung des großen Rates stattfand, war es
den Stallbedienten der Republik, welche wußten, daß der Handel zu Ende
gehen sollte, auf einmal eingefallen, der Esel, der doch eine Hauptperson
bei der Sache vorstellte, sollte billig auch von der Partie sein. Sie
hatten ihn also gestriegelt, mit Blumenkränzen und Bändern heraus¬
geputzt und brachten ihn nun unter der Begleitung und dem Nach¬
jauchzen unzähliger Gassenjungen in großem Pomp auf den Marktplatz
geführt, wo die gesamte Bürgerschaft Rbderas in dichten Haufen das
Rathaus umstand und in gespannter Erwartung der Entscheidung des
hochweisen Rates entgegensah, während die armen Richter im Sitzungs¬
saale sich gar nicht mehr zu helfen wußten.
Der Lärm, den die Gassenjungen um den Esel her machten, drehte
jedermanns Rügen nach der Seite, woher er kam. Man stutzte und
drängte sich hinzu, „ha!" rief endlich einer aus dem Volke, „da kommt
der Esel selbst!" „Er wird den Richtern wohl zu einem Russpruch
helfen wollen," sagte ein andrer. „Der verdammte Esel!" rief ein dritter,
„er hat uns alle zugrunde gerichtet! Ich wollte, daß ihn die Wölfe
gefressen hätten, ehe er uns diesen gottlosen Handel auf den hals zog!"
„heida!" schrie ein Resselflicker, der immer einer der eifrigsten Schatten
gewesen war, „was ein braver Rbderit ist, über den Esel her! Er soll
uns die Zeche bezahlen. Laßt nicht ein haar aus seinem schäbigen
Schwanz von ihm übrig bleiben!"