t 02 Vierter Zeitraum.
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Rechtswissenschaft.
Die R e ch r s g e l e h r sa m k e i t gewann seit dem August
in dem Grade, in welchem die bürgerliche Frei,
heit sank; fast in demselben Verhältnisse, in welchem die
Theorie der Dichtkunst nach dem Verstummen der klassi¬
schen Dichter weiter ausgebildet ward. August ertheilte
einigen Rechtsgelehrten das ius respondendi, und wies seine
Richter an, von denselben Gutachten einzuhvhlcn und in
rechtlichen Aussprüchen darnach sich zu richten. Man theilte
sich aber bereits unter seiner Regierung über die Grundsätze,
die man bei rechtlichen Gutachten zu befolgen habe. Labeo
erklärte sich für die Strenge, Atejus Capito für die
Billigkeit. Der erste Zeigte noch republikanischen Geist; der
letztere schmeichelte dem August. Sabinus (unter dem
Tiberius) und Cassius Longinus (unter dem Tibcrius,
Caligula, Claudius und Nero) folgten dem Capito, und
stifteten die juridische Schule der Sa bi ni an er und Cas-
siancr, die den Aussprüchen der altern Rechtslehrer bei
dem Grundsätze der Billigkeit folgte; Li einius Procu-
lus (unter Otho und Vitellins) war Stifter einer strengern
Schule nach Labeo's Vorgänge. — Unter Hadrian erhiel¬
ten die Rechtsgelehrten in dem edictum perpetuum, einem
Gesetzbuchs, welches Salvius Juli anus (131 n. C.)
auf kaiserlichen Befehl in 100 Büchern verfertigte, eine feste
Vorschrift, welcher Casus, Papi ni an, Ulpian und
andere folgten. — Nach den Zeiten des Alerand er Se¬
verus maßten sich aber die despotischen Imperatoren die
Entscheidung aller Privatprocesse an, und es erschienen zur
Ergänzung und Berichtigung des ediclum perpetuum die
constitutioues Imperatorum, welche G r e gorius (oder
Gregorianus) und H ermogenes bis herab auf Constantins
Zeiten sammleten. Endlich ließ Theodosius 2 durch acht
Rechtsgelehrte die Constitutionen seit dem Constantin nach
der Ordnung des edictum perpetuum zusammentragen,
zwar, wegen der gewählten Ordnung, nur stellenweise und
zerstückelt, aber doch ohne irgend eine Aenderung an dem