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12. Nie erwirbt man sich Hoch¬
achtung,
Wo man alles von sich wissen.
Alles übersehen läßt.
Die geschwätzige Gemahlin
Zieht den Mann in ihr Geschwätz,
Macht dabei sich selbst verächtlich:
Und doch ruhet aus der Achtung
Eures Hauses seine Macht.
13. Sollt' es Euch bisweilen Mühe
Kosten, meiner Briefe Inhalt
Zu verbergen, — denn der Freude
Botschaft, sie verbirgt sich schwer, —
So entdeckt es, sie zum Schweigen
Zu gewöhnen, Euren Töchtern;
Ihrem Vater zu gefallen,
Schweigen, weiß ich, sie gewiß.
14. Nehmet Rat von keinem
Manne.
Fragt, was ich Euch raten würde,
Wär' ich da, und folgt dem Rat,
Und in schweren Dingen — schreibet!
Nie verläßt Euch meine Feder
Wie mein Degen und mein Herz.
15. Zweiundzwanzig Maravedis
Lass' ich Euch zur Tages-Ausgab';
Haltet Euch danach; der wahre
Adel steht nicht im Ersparen,
Doch auch im Vergeuden nicht.
16. Seid Ihr geldbedürstig, lasset
Keinen als nur mich es wissen;
Keinen Eurer Leute setzet
Je zum Pfande, suchet lieber
Geldessummen aus niein Wort,
17. Aus mein bloßes Wort, Ximene!
Dieses, wie des Himmels Feste,,
Weiß man, ist fest und gewiß.
Wie ich mich für andre schlage,
Glaubt, so werden sich auch andre
Froh bemühn für mich und Euch."
Sieben,»ndsechzigste Romanze.
1. Fahnen, gute, alte Fahnen,
Die den Cid so oft begleitet
In und siegreich aus der Schlacht,
Rauschet ihr nicht in den Lüften
Traurig, daß euch Stimm' undSprache,
Daß euch eine Thräne fehlt?
Denn es brechen seine Blicke,
Er sieht euch zum letzten Mal.
2. Lebet wohl, ihr schönen Berge
Teruel und Albarazin,
Ew'ge Zeugen seines Ruhmes,
Sein Glückes, seines Muts!
Lebet wohl, ihr schönen Höhen,
Und du, Aussicht aus das Meer hin!
Ach, der Tod, er raubt uns alles,
Wie ein Habicht raubt er uns.
Seht, es brechen seine Augen, —
Er blickt hin zum letzten Mal.
3. Was hat er gesagt, der gute
Cid? Er liegt aus seinem Lager. _
Wo ist seine Eisenstimme?
Kaum noch kann man ihn verstehen,
Daß er seinen Freund Babieea,
Ihn noch einmal sehen will.
4. Babieea kommt, der treue
Mitgefährt' des wackern Helden
In so mancher, mancher Schlacht.
Als er die ihm wohlbekannten
Guten, alten Fahnen siehet,
1 Die sonst in den Lüsten wehten,
1 Hingebeugt aufs Sterbelager,
Unter ihnen seinen Freund:
5. Fühlt er seinen Lauf des Ruhmes
Auch geendet, steht mit großen
Augen stumm da wie ein Lamm.
Sein Herr kann zu ihm nichts sprechen,
Er auch nichts zu seinem Herrn.
Traurig sieht ihn an Babieea,
Cid ihn an zum letzten Mal.
6. Gerne hätt' sich A l var Fanne z
Mit dem Tode jetzt geschlagen.
Ohne Sprache steht Xi me ne;
Cid, er drückt ihr noch die Hand.
7. Und nun rauschten die Paniere
Stärker; durch das offne Fenster
Weht ein Wind her von den Höhen; —
Plötzlich schweigen Wind und Fahnen
Edel; denn der Cid entschläft.
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Schulz, Deutsches Lesebuch für höhere Lchranst. I. Teil. 2. Abt.