Metadata: Lehr- und Lesebuch für Töchterschulen

170 
war ein rauher Herbsttag, und sie waren so leicht gekleidet, 
als ob sie sich vor Hitze nicht lassen könnten. 
Der Vater erschrak darüber, und fand überdem die 
Kleidung unanständig, indem fast die ganze Brust und der 
halbe Rücken entblößt waren. Eure Tracht, sagte er, 
lieben Kinder, gefällt mir nicht, sie ist der Gesundheit nach- 
thcilig und unanständig. Ja, erwiederte die älteste von 
seinen Töchtern, es ist so Mode. Die zweite Tochter hatte 
einen starken Husten, und klagte über Stiche in der Brust, 
überhaupt war sie gar nicht mehr das blühende Mädchen, 
das sie sonst gewesen war. Was fehlt dir, mein Kind? 
fragte sie der Vater. Du schriebst mir neulich, daß du 
schon eine der besten Tänzerinn seift, und besonders die 
neuen angreifenden und wilden Modetänze schon tanztest. 
Du wirft doch nicht diese elende Kunst, welche die Mode 
fordert, mit deiner Gesundheit erkaufen wollen? Laß mir 
das Tanzen. 
So fand der Vater Manches an seinen Töchtern, waS 
ihm nicht gefiel; aber wie erschrak er, als er die Rechnun¬ 
gen sah, die sie ihm mitgebracht hatten, und von ihnen 
hörte, was sie nun zu ihrem Winteranzuge wieder anschaf¬ 
fen müßten. „Müssen?" sagte er, „ihr habt ja erst zu 
dem vorigen Winter ganz neue Kleidung bekommen? Ja, 
lieber Vater, sagten die Töchter, die haben wir auch noch, 
allein sie sind dieß Jahr gar nicht mehr Mode. Der Vater 
erklärte ihnen, daß er unmöglich schon wieder so viel Geld 
für sie ausgeben könne, und daß er es überhaupt noch über¬ 
legen müsse, ob er sie wieder in die Stadt zurückschicken 
werde. 
Ich habe nicht verlangt, sagte er, daß ihr durch eine 
unmodige Kleidung auffallend und lächerlich werden sollt, 
aber Modenärrinnen sollt ihr nicht werden, und den Auf¬ 
wand, den ihr da macht, rann ich nicht bezahlen. Sehet, 
dort geht eben ein Mann vorüber, dessen Beispiel jeden 
vor der thörichten Modesucht warnen sollte. Sehet, wie 
elend er gekleidet ist, wie er an den Häusern hinschleicht, 
als ob er sich vor aller Welt schämte. Nur wenn es Markt¬ 
tag ist, kömmt er aus seinem elenden Stübchen, wo er 
zur Miethe wohnt, hervor, um sich ein Paar Brote und 
Kartoffeln zu kaufen, womit er sich dann die ganze Woche
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.