II. Parabeln, Allegorien, Paramythien.
8. Die Bürde.
lJ. Fr. Scblag.)
Einen stillen Waldweg hinauf trug keuchend ein armer alter
Mann ein schweres Gepäck. „Ach Gott!" seufzte er, „ist denn weit
und breit keine mitleidige Seele, die mir meine Last tragen hilft?"
— „Hier ist sie," rief hinter seinem Rücken eine ihm unbekannte
freundliche Stimme. Betroffen sah der Alte sich um und erblickte einen
schönen, blondlockigen Jüngling, dessen freundliches Aussehen ihm
sogleich Vertrauen einflößte. „O freundlicher junger Mann," sagte
der Alte, „du kommst mir wie ein Engel Gottes vom Himmel. Mei¬
nen armen Enkelchen, die ich ernähren muß, weil Vater und Mutter
tot sind, ein Stückchen Brot zu verdienen, habe ich dieses Gepäck in die
nächste Stadt zu tragen übernommen. Es übersteigt aber, wie ich
zu spät merke, meine Kräfte. Dürfte ich dich bitten, einen Teil davon
auf deine jungen, kräftigen Schultern zu nehmen?" — „Vor allem laß
uns ausruhen, lieber Alter," versetzte der Jüngling, „und dann noch
einmal versuchen, was deine eigenen Schultern vermögen." Und hier¬
auf hob er die Bürde von dem Rücken des Alten, ließ sich mit ihm im
Schatten einer bejahrten Eiche nieder und zog ein Stück nahrhaften
Brotes nebst einer Flasche stärkenden Getränkes hervor. „Iß und trink,
Väterchen." sprach er und reichte ihm beides hin. Mit großer Begierde
griff der Alte danach und verzehrte es mit Heißhunger, während der
Jüngling sich mit ihm in freundlichen Gesprächen unterhielt. — „Auf
nun, daß wir die Stadt erreichen, ehe die Sonne sich neigt?" sprach
der Jüngling und erhob sich zuerst. Wehmütig blickte der Greis auf
seine Bürde und bittend in die blauen Augen seines Begleiters. Er
glaubte in diesen die Gewährung seines Wunsches zu lesen, als dieser
auch wirklich nach der Last griff, aber leider! nicht um sie zu teilen oder
sie selbst zu tragen, sondern um sie wieder auf die Schultern des Alten
zu legen. Erschrocken sah dies der Greis, aber zu seiner Verwundrrung
fand er sich von dem Genossenen so gestärkt, daß er die Bürde kaum
halb so schwer fand. Als nun beide am Ende des Waldes sich trennen
wollten, sagte der Alte: „Du hast, edelmütiger Jüngling, mir besser ge¬
holfen, als ich gewünscht hätte. Du solltest meine Last mir abnehmen
und gabst mir statt dessen Kraft, sie selber zu tragen! Aber nun sage
mir auch, ehe wir scheiden, wer du bist, freundliche liebe Seele!" —