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200. Waldlied.
(Gottfried Keller.)
Arm in Arm und Krön' an Krone steht der Eichenwald verschlungen.
Heut hat er bei guter Laune mir sein altes Lied gesungen.
Fern am Rande fing ein junges Bäumchen an sich sacht zu wiegen,
Und dann ging es immer weiter an ein Sausen, an ein Biegen;
5 Kam es her in mächt'gem Zuge, schwoll es an zu breiten Wogen,
Hoch sich durch die Gipfel wälzend kam die Sturmesflut gezogen,
Und nun fang und pfiff es graulich in den Kronen, in den Lüften,
Und dazwischen knarrt' und dröhnt' es unten in den Wurzelgrüften.
Manchmal schwang die höchste Eiche gellend ihren Schaft alleine,
10 Donnernder erscholl nur immer drauf der Chor vom ganzen Haine!
Einer wilden Meeresbrandung hat das schöne Spiel geglichen,
Alles Laub war weißlich schimmernd nach Nordosten hingestrichen.
Also streicht die alte Geige Pan der Alte laut und leise,
Unterrichtend seine Wälder in der alten Weltenweise.
15 In den sieben Tönen schweift er unerschöpflich auf und nieder,
In den sieben alten Tönen, die umfassen alle Lieder.
Und es lauschen still die jungen Dichter und die jungen Finken,
Kauernd in den dunkeln Büschen sie die Melodien trinken.
201. Die schöne Buche.
(Eduard Mörike.)
Ganz verborgen im Walde kenn' ich ein Plätzchen, da stehet
Eine Buche, man sieht schöner im Bilde sie nicht.
Rein und glatt, in gediegenem Wuchs, erhebt sie sich einzeln,
Keiner der Nachbarn rührt ihr an den seidenen Schmuck.
H Rings, soweit sein Gezweig der stattliche Baum ausbreitet,
Grünet der Rasen, das Aug' still zu erquicken, umher;
Gleich nach allen Seiten umzirkt er den Stamm in der Mitte;
Kunstlos schuf die Natur selber dies liebliche Rund.
Zartes Gebüsch umgrenzet es erst; hochstämmige Bäume,
10 Folgend in dichtem Bedräng', wehren dem himmlischen Blau.
Neben der dunkleren Fülle des Eichbaums wieget die Birke
Ihr jungfräuliches Haupt schüchtern im goldenen Licht.
Als ich unlängst einsam, von neuen Gestalten des Sommers
Ab vom Pfade gelockt, dort im Gebüsch mich verlor,
15 Führt' ein freundlicher Geist, des Hains austauschende Gottheit,
Hier mich zum erstenmal plötzlich, den staunenden, ein;
Welch Entzücken! Es war um die hohe Stunde des Mittags;