Full text: Deutsches Lesebuch für die siebente Klasse der bayerischen Gymnasien und verwandter Lehranstalten (Klasse 7, [Schülerband])

18 
4. Kriegswesen und Gefolgschaft bei den Germanen. 
ein dux, ahd. herizoho, alts. heritogo, gewählt. Der Wahlakt erfolgte 
durch Schilderhebung. 
Nach Cäsar hatten die für den Krieg gewählten Führer das 
Recht über Leben und Tod. Dagegen schreibt Tacitus die Strafgewalt 
es im Heere den Priestern zu, welche die Strafen, Tötung, Fesselung, 
Schläge, gleichsam auf Geheiß der Götter verhängten, ein Wider¬ 
spruch, dessen Erklärung aus erhebliche Schwierigkeiten stößt. Nicht 
unwahrscheinlich ist es, daß schon zu Cäsars Zeit die Strafen im Heere 
unter religiösem - Gesichtspunkt vollstreckt wurden. Indem man die 
?o Strafe im Namen der Götter durch Priesterhand vollziehen ließ, galt 
es auf diese Weise die Rache des Bestraften, beziehungsweise seiner 
Sippe auszuschließen. 
Spielen der Krieg und alles, was ihn angeht, die hervorragendste 
Rolle in der Lebensführung jedes freien Germanen, so gibt es doch 
75 eine Rechtsinstitution, die für eine gesteigerte militärische Tätigkeit 
berechnet war und als die germanische Pslanzschule kriegerischen 
Heldentums und staatsmännischer Tüchtigkeit betrachtet werden darf. 
Es ist die Gefolgschaft, ein den Germanen charakteristisches 
Dienst- und Treuverhältnis, das unter den Einrichtungen ihres 
so öffentlichen Lebens in Lied und Sage die farbigsten und dauerndsten 
Spuren hinterlassen hat. 
Die allgemeine Kriegspflicht, wie sie die civitas von allen freien 
und wehrhaften Volksgenossen in Anspruch nahm, vermochte dem 
kriegerischen Drange der germanischen Jugend nicht zu genügen. 
»5 Schon in der Zeit Cäsars ergab sich das Bedürfnis, die überschäumende 
militärische Kraft des Volkes durch freiwillig unternommene Heer¬ 
fahrten in die Fremde abzulenken. Einer der Fürsten erbietet sich 
in der Landesversammlung als Führer für ein kriegerisches Unter¬ 
nehmen und fordert die tatenlustigsten Männer zu freiwilligem An- 
vo schlusse auf. Die Teilnahme an der Heerfahrt wird in der öffentlichen 
Versammlung versprochen; die Menge gibt die Billigung des gefaßten 
Entschlusses kund, woraus auf ein Widerspruchsrecht der Landes¬ 
gemeinde geschlossen werden darf. Wer trotz des gegebenen Wortes 
die Heerfahrt versitzt, gilt gleich einem Verräter und Überläufer für 
95 ehrlos. Das Verhältnis, welches zwischen dem Führer und den ge¬ 
worbenen Gefährten entsteht, ist nur ein vorübergehendes, es schafft 
zwischen ihnen keine dauernde persönliche Verbindung. Mit dem 
Ende der Unternehmung ist das freie Vertragsverhältnis gelöst. Ob 
man es als Gefolgschaft bezeichnen darf, ist ein Wortstreit. Nennt 
ioo man es so, dann muß man sich vor Augen halten, daß es eine Gefolg¬ 
schaft ohne Hausgenossenschaft zwischen Führer und Gefährten ist. 
Einen anderen Charakter hat das Gefolgswesen, comitatus, 
dem Tacitus in der Oermania eine lebensvolle Darstellung widmet. 
Sie wird bestätigt und ergänzt durch jüngere Quellen, namentlich
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.