22 Fünfte Periode. Von 1750- 1830.
sagl's für Lernende und Lehrende. Sie gebietet dem Lehrer, daß seine
Gedankenform, seine Art des Vortrags in der Seele des Lernenden ein
Vorbild und Muster werden könne; denn nicht nur das, was er sagt,
sondern wie er's sagt, dai. wie er's wohl oder übel verstanden denkt,
ist Lehre, d. i. es weckt Gedanken und geht in die Seele des Lernenden
über. Die große Ordnung der lebenden Natur verknüpft alle Wesen durch
einen stillen Übergang lebendiger Nachbildung Wie wir bei einem Wahn⸗
sinnigen wahnsinnig werden, bei einem Stammelnden, ohne daß wir's
wissen, mitsiammeln lernen, wie liebliche Worte, liebliche Geberden und
Gedanken von denen, mit denen wir leben, in uns übergehen so auch
die Gedankenweise des Lehrers beim Vortrag der Wissenschaft, gleichsam
die Melodie seiner Seele. Wehe dem der schlechte Gesänge oder gute
Gesänge schlecht singt! er verdirbt damit das Organ und die Gedanken—
form seines Lehrlings, dem es oft besser wäre, er hätte nichts als dieses
also gelernt ñ·ñ ——
Hiernach erklärt sich nun auch, was es heißt, nicht der Schule,
sondern dem Leben lernen. Der Schule lernt man auf eine gute
Weise, wenn man ihr Ehre macht, wenn man das Gepräge mit sich nimmt,
man sei in einer guten Schule gewesen: ein Gepräge, das sich nie verwischt,
das immer kenntlich und lobenswerth bleibt, Zutrauen erweckt und auf der
Bahn des Lebens viel Vortheile gewährt. Gewiß ist's Lob und Empfeh⸗
lung für einen Menschen, wenn man sagt: „Er hat Schule!“ dagegen
einem Rips⸗Raps, der von keiner Schule weiß, Festigkeit, Bestimmtheit
in seinen Arbeiten fehlt Dem Worte Schule ist die Welt in allen
Künsten und Wissenschaften viel schuldig; Ubung unter einem guten Lehrer
giebt ein sicheres Hand und Augenmaß, eine vernünftige Tendenz eine
feste Regel. Auch wenn der Lehrling sich vom Lehrer entfernt, bliebe er
auch nicht ein Zweig auf seinem Stamm, auf seiner Wurzel, so nimmt
er doch seine Art mit sich und sproßt weiter. Sofern ist's also gut, der
Schule lernen, du i. alles das lernen, was man in ihr lernen kann, und
es schulmäßig, d. i. fest, bestimmt, recht lernen
Was heißt dem Leben lernen? Offenbar, was nützlich im Leben
ist, was angewandt werden kann wodurch wir besser leben lernen. Da
aber das Leben so viel und mancherlei bedarf, da der Anwendungen und
Nutzbarkeiten so viele und gewiß nicht alle unmittelbar sind, indem eine
Kenntnis auf die andere bauen, der andern forthelfen muß, so wäre es
sehr thöricht, bei allem, was ich lerne, zu fragen: „Wozu kann ich's an—
wenden? was wird mir's bringen oder helfen?“ Thor, übersiehst du dein
Leben und weißt alle Umstände vorher, in die du kommen kannst? Weißt
du, was in jedem Geschäft, in jeder Minute brauchbar oder entbehrlich
sei? Wenn du Geld sammelst, fragst du oder weißt du bestimmt voraus,
wozu du es anwenden? wenn du eine Sprache lernst, weißt du, mit wem
du die Sprache sprechen werdest? Also führt der Ausdruck dem Leben
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