Fünfte Periode. Von 1780 1830.
Johann Jakob Engel.
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Geboren 1741 zu Parchim, wurde 1776 Professor am Joachimsthalschen
Gymnasium zu Berlin, Lehrer des Kronprinzen Friedrich Wilhelm (III.) war von
1787 1794 Leiter des Berliner Theaters, gestorben 1802 Hat sich vorzüglich
um die deutsche Prosa verdient gemacht. In seinen Schriften klare, gewandte
Sprache, feine Beobachtung, edler, gedankenreicher Gehalt. „Fürstenspiegel“,
„Lorenz Stark“, „Philosoph für die Welt“, daraus „Herr Tobias Witt“, „„Der
Traum des Galilei,“ Die Entzückung des Las Casas“ u. a. m.
142. Entzückung des Las Casas.
Las Casas, dessen Name unter der Zahl thätiger Menschenfreunde
ewig glänzen und um so heller glänzen wird, da er neben den höllen⸗
schwarzen Namen jener Ruchlosen erscheint, die durch Schwert und Folter
und Sklavendienste eine Million von Unschuldigen innerhalb funfzehn
Jahren würgten, — dieser beredte, eifrige, unermüdete Fürsprecher der
Indianer, lag jetzt als ein neunzigjähriger Greis auf dem Sterbebette.
So sehr schon jetzt seine ganze Sehnsucht auf den Lohn im Himmel ge⸗
richtet war, so ward ihm doch im Angesichte der Ewigkeit bange. Es war
die Bangigkeit einer holden liebenden Braut, die in dem Augenblicke, wo
das Glück ihres Lebens gegründet und alle ihre Wünsche gekrönt werden
sollen, vor der Veränderung ihres Standes zittert. Las Casas war sich
der Reinigkeit seines Herzens und der Unschuld seines Lebens bewußt;
er hatte Königen ins Antlitz gesehen und scheute keinen irdischen Richter;
aber der Richter, vor den er jetzt treten sollte, war Gott, und seine un⸗
endliche Heiligkeit und Gerechtigkeit war ihm furchtbar. Auch das kühne
Auge der Rechtschaffenheit schlägt den Blick, wie das blöde der Schuld,
vor der Sonne nieder.
seinen Füßen saß ein würdiger Ordensbruder, auch ein Greis
und sut vielen Jahren sein Freund. Gleiche Rechtschaffenheit hatte ihn
mit zärtlicher Liebe gegen Las Casas, und Bewußtsein geringerer Kräfte
mit Bewunderung und Ehrerbietung erfüllt. Er sah mit Wehmuth, wie
sein Freund, dem er nie von der Seite wich, immer stiller und ohn—
mächtiger ward, und sprach ihm Hoffnung ein, um Hoffnung bei sich selbst
zu erwecken. Aber der Greis, der des großen Gedankens an die Ewigkeit
voll war, bat ihn, hinaus zu gehen und ihn mit seinem Richter allein
zu lassen.
Las Casas lag und überdachte sein Leben. Wohin er sein Auge
wandte, da sah er Irrthümer und Fehler und sah sie in ihrer ganzen
Größe; ihre Folgen breiteten sich vor ihm aus wie ein Meer; aber klein
und unlauter und fruchtlos an dem gehofften Guten schien ihm jede bessere
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