Jean Paul Friedrich Richter. 353
der Kabel'schen Testaments Van der Kabel konnte der Haslauer
Krösus und sein Leben eine Münzbelustigung heißen oder eine Goldwäsche
unter einem goldenen Regen; oder wie sonst der Witz wollte. Sieben noch
lebende weitläuftige Anverwandte von sieben verstorbenen weitläuftigen
Anverwandten Kabels machten sich zwar einige Hoffnung auf Plätze im
Vermächtnis, weil der Krösus ihnen geschworen, ihrer da zu gedenken;
aber die Hoffnungen blieben zu matt, weil man ihm nicht sonderlich trauen
wollte. da er nicht nur so mürrisch⸗sutlich und uneigennibig ͤberall wirn
schaftete — in der Sittlichkeit aber waren vie sieben Anverwandten noch
Anfänger —, sondern auch immer so spöttisch dareingriff und mit einem
solchen Herzen voll Streiche und Fallstricke, daß sich auf ihn nicht fußen
ließ. Das fortstrahlende Lächeln um seine Schläfe und Wulstlippen und
die höhnische Fistelstimme schwächten den guten Eindruck, den sein edel
gebautes Gesicht und ein Paar große Hände, aus denen jeden Tag Neujahrs⸗
geschenke und Benefizkomödien und Gratiale fielen, hätten machen können;
deswegen gab das Zug⸗Gevögel den Mann, diesen lebendigen Vogelbeer⸗
baum, worauf es aß und nistete, für eine heimliche Schneus aus und
konnte die sichtbaren Beeren vor unsichtbaren Haarschlingen kaum sehen.
Zwischen zwei Schlagflüssen hat' er sein Testament aufgesetzt und
dem Magistrat anvertraut Noch als er den Depositionsschein den sieben
Präsumtiverben halbsterbend übergab, sagt' er mit altem Tone, er wolle
nicht hoffen, daß dieses Zeichen seines AÄblebens gesetzte Männer nieder—
schlage, die er sich viel lieber als lachende Erben denke denn als weinende,
und nur einer davon, der kalte Ironiker, der Polizei⸗Inspektor Har⸗
precht, erwiderte dem warmen: ihr sämmtlicher Antheil an einem solchen
Verluste stehe wohl nicht in ihrer Gewalt.
Endlich erschienen die sieben Erben mit ihrem Depositionsschein auf
dem Rathhauje namentlich der Kirchenrath Glanz, der Polizei⸗Inspektor,
der Hofagent Neupeter, der Hoffiskal Knol, der Buchhändler Pas—
vogel, der Frühprediger Flachs und Flitte aus Elsaß. Sie drangen
hei dem Magistrate auf die vom seligen Kabel insinuirte Charte und die
Offnung des Testaments ordentlich und geziemend. Der Oberexekutor des
letztern war der regierende Bürgermeister selber, die Unter-Exekutors der
restirende Stadtrath. Sofort wurden Charte und Testament aus der
Rathskammer vorgeholt in die Rathsstube — sämmtlichen Raths⸗ und
serbherrn herumgezeigt, damit sie das darauf gedruckte Stadtsekret besähen
2 die auf die Charte geschriebene Insinuationsregistratur vom Stadt—
schreiber den sieben Erben laut vorgelesen und ihnen dadurch bekannt ge—
macht, daß der Selige die Chane dem Mohstreie wirklich insinuirt und
sorinio rei publicas anvertraut, und daß er am Tage der Insinuation
noch vernünftig gewesen endlich wurden die sieben Siegel, die er selber
darauf gesetzt, ganz befunden. Jetzt konnte das Testament — nachdem der
Stadtschreiber wieder über dieses alles eine kurze Registratur abgefasset —
Wirth, Lesebuch. VI.
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