Full text: [Teil 2, Abteilung 1, [Band 1] = [Mittelstufe], [Schülerband]] (Teil 2, Abteilung 1, [Band 1] = [Mittelstufe], [Schülerband])

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A. Erzählende Prosa. I. Sagen. 
wird die That an ihnen rächen." Der Leichnam ist eingesargt und wird zu 
Grabe getragen; Kriemhild folgt, mit unnennbarem Jammer bis zum Tode 
ringend. Noch einmal aber begehrt sie das schöne Haupt des Geliebten zu sehen, 
und der köstliche Sarg, aus Gold und Silber geschmiedet, wird aufgebrochen. 
Da führt man sie herbei, und mit ihrer weißen Hand hebt sie noch einmal das 
Heldenhaupt empor und drückt einen Kuß auf die bleichen Lippen. Man trug 
sie von dannen. Der edle Held wurde begraben. 
An die Stätte, wo ihre Liebe begonnen, wo sie in grimmem Leide geendet 
hatte, war Kriemhild gefesselt. Siegmund zieht mit seinen Mannen zurück in 
die Heimat, um für den Enkel des Reiches zu Pflegen; Kriemhild bleibt in 
Worms — die Herrschaft im Niederland, das Königreich der Nibelungen mit 
seinen Schätzen hat für sie nur Wert gehabt durch Siegfried; auch das Kind 
sieht sie nie wieder — ihr Leben war völlig aufgegangen in dem herrlichen 
Helden, welcher der Ihrige war. Es beginnt die Zeit des Leides; in tiefem 
Trauern weilt Kriemhild dreizehn Jahre zu Worms; über drei Jahre nach 
Siegfrieds blutigem Tode würdigt sie ihren blutbefleckten Bruder Günther keines 
Wortes, Hagen keines Blickes. Um die Schwester wieder auszusöhnen, lassen 
die Brüder den unermeßlichen Schatz an rotem Gold und edlem Gestein, der 
im Nibelungenlande unter Alberichs Hut liegt und von Siegfried an Kriemhild 
zur Morgengabe gegeben worden war, den Nibelungenhort, von dort herbei¬ 
führen; zwölf Wagen fahren vier Tage und vier Nächte att den glänzenden 
Kleinodien, um sie aus dem hohlen Berge, wo sie verwahrt sind, auf das Schiff 
zu bringen; sie langen an, werden Kriemhilden übergeben, und es kommt eine 
Sühne, doch nur zwischen ihr und ihren Brüdern, nicht auch zwischen ihr und 
Hagen zustande. Nun spendet nach uralter deutscher Königssitte Kriemhild 
reichlich an Arme und Reiche von ihren Schätzen; das Geben ist ihr ein Trost 
in ihrem Leide. Aber wiederum tritt der grimme Hagen von Tronei ihr feind¬ 
selig in den Weg; er fürchtet, sie möchte durch ihre milde Freigebigkeit so viele 
zu ihrem Dienste gewinnen, daß es der Herrschaft der Landeskönige selbst 
Schaden thun werde. Im Widerspruch mit Günther und dessen Brüdern nimmt 
Hagen die Schlüssel und somit auch den Schatz selbst weg. Gernot rät, das 
Gold in den Rhein zu senken, damit es niemand angehöre. Zugleich schwören 
sich sämtliche Beteiligte zu, so lange einer von ihnen lebe, niemanden zu ent¬ 
decke», wo der Schatz verborgen sei. So versenkt Hagen den Nibelungenhort 
in den Rhein, und dort liegt er nach der Sage des Volkes zwischen Worms 
und Lorsch bis auf den heutigen Tag. Seitdem auf diese Weise der Hort der 
Nibelungen in die Gewalt der Burgunden gekommen ist, führen sie selbst, wie 
früher Siegfried wegen des Besitzes desselben Schatzes der Nibelung oder der 
Nibelungen Herr genannt wird, den Namen Nibelungen. Davon hat der zweite 
Teil des diese Sage behandelnden Epos den Namen „der Nibelungen Not", das 
Ganze in unserer Zeit den Namen „Nibelungenlied" erhalten. 
232. Die Gudrunsage. 
Von Georg Gottfried Gervinus. Geschichte der deutschen Dichtung. Leipzig, 1853. 
Gers und Utes Sohn, Sigebant, ist König von Irland. Sein Sohn ist 
Hagen. Einst hält König Sigebant ein großes Fest; neun Tage währt die 
Freude, am zehnten aber folgt auf aller Wonne mancher Klage, auf große 
Freude herzliche Schwere; mitten unter den Festlichkeiten, da die Magd mit dem 
kleinen Hagen vor dem Hause allein steht, kommt ein Greif und nimmt das 
Kind weg, das die Magd flüchtig verläßt. Der Knabe wird von dem Greifen
	        
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