21. Zu Aachen vor dem Schlosse
stund
Der König Karl sehr bange:
„Sind meine Helden wohl gesund?
Sie weilen allzulange.
Doch seh' ich recht, ans Königswort!
So reitet Herzog Haimon dort,
Des Niesen Haupt am Speere."
22. Herr Haimon ritt in trübem
Mut,
Und mit gesenktem Spieße
Legt' er das Haupt, besprengt mit
Blut,
Dem König vor die Füße:
„Ich fand den Kopf im wilden Hag,
Und fünfzig Schritte weiter lag
Des Niesen Rumpf am Boden."
23. Bald auch der Erzbischof Turpin
Den Riesenhandschuh brachte,
Die ungefüge Hand noch drin;
Er zog sie aus und lachte:
„Das ist ein schön Reliquienstück,
Ich bring' es aus dem Wald zurück,
Fand es schon zugehauen."
24. DerHerzogRaims vonBayer-
land
Kam mit des Riesen Stange:
„Schaut an, was ich im Walde fand:
Ein Waffen stark und lange!
Wohl schwitz' ich von dem schweren
Druck;
Hei, bayrisch Bier, ein guter
Schluck,
Sollt' mir gar köstlich munden!"
25. Graf Richard kam zu Fuß
daher.
Ging neben seinem Pferde;
Das trug des Riesen schwere Wehr,
Den Harnisch samt dem Schwerte:
„Wer suchen will im wilden Tann.
Manch Waffenstück noch finden kann,
Ist mir zu viel gewesen."
26. Der Graf Garin tät ferne
schon
Den Schild des Riesen schwingen.
„Der hat den Schild, des ist die
Krön',
Der wird das Kleinod bringen!" —
„Den Schild hab' ich, ihr lieben
Herrn;
Das Kleinod hätt' ich gar zu gern,
Doch das ist ausgebrochen."
27. Zuletzt tät man Herrn Milon
sehn,
Der nach dem Schlosse lenkte;
Er ließ das Rößlein langsam gehn,
Das Haupt er traurig senkte.
Roland ritt hinterm Vater her
Und trug ihm seinen starken Speer
Zusamt dem festen Schilde.
28. Doch wie sie kamen vor das
Schloß
Und zu den Herrn geritten,
Macht' er von Vaters Schilde los
Den Zierat in der Mitten;
Das Riesenkleinod setzt' er ein,
Das gab so wunderklaren Schein
Als wie die liebe Sonne.
29. Und als nun diese helle Glut
Im Schilde Milons brannte,
Da rief der König wohlgemut:
„Heil Milon von Anglante!
Der hat den Riesen übermannt,
Ihm abgeschlagen Haupt und Hand,
Das Kleinod ihm entrissen!"
30. Herr Milon hatte sich ge¬
wandt,
Sah staunend all die Helle:
„Roland, sag an, du junger Fant,
Wer gab dir das, Geselle?" —
„Um Gott, Herr Vater, zürnt mir
nicht,
Daß ich erschlug btu grollen Wicht,
Derweil Ihr eben schliefet!"