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sieht den Streit nicht an als den Anfang des bittern Kampfes auf Tod
und Leben, dem er selbst unterliegen soll; eitler Ehre als ein rechter Held
nicht begehrend, hat er sich nie gerühmt der Thaten, die er vollbracht, am
wenigsten des, was ihm gegen ein Weib gelungen. Eine gleiche Zurück—
haltung und Mäßigung will er auch von den Frauen beobachtet wissen.
„Sie haben sich vergessen,“ meint er, „und daß mein Weib das deinige,
Gunther, betrübt hat, das ist mir ohnemaßen leid. Wir wollen von
dem, was geschehen ist, schweigen; unsere Frauen sollen schweigen wie wir.“
Aber Brunhild schweigt nicht, kann nicht schweigen.
d) Siegfrieds Tod.
Jammernd in ohnmächtiger Wut sitzt Brunhild einsam im Gemache;
da findet sie Hagen und erfährt von ihr noch genauer, wie schwer sie ge—
kränkt sei. Seine Herrin und Königin weint, gekränkt, bis in den Tod
beleidigt von einem Manne, — der Mann muß sterben. Die Brüder der
Beleidigerin, die drei Könige, und Ortwin von Metz werden zur Beratung
hinzugezogen, und nur der jüngste, Giselher, hält die Sache als einen
Frauenstreit für zu gering, als daß ein Held wie Siegfried darum das
Jeben verlieren sollte; die übrigen, selbst der anfangs schwankende Gunther,
in welchem die Dankbarkeit gegen Siegfried doch noch nicht ganz erloschen
ist, stimmen auf Siegfriegs Tod. Es soll ein falsches Kriegsgerücht ver—
breitet, das Heer aufgeboten — und, da man voraussetzt, daß Siegfried
sich dieser Heerfahrt nicht entziehen werde, der Held auf diesem Kriegszuge
erschlagen werden. So wird die Mannentreue zur Untreue, aus der edelsten
Wurzel des deutschen Lebens schießt das giftigste Gewächs, der Meuchel—
mord, hervor.
Die Heerfahrt ist in vollem Gange, Siegfried rüstet sich. Da be—
giebt sich der untreue, grimmige Hagen zu Kriemhild, um der Sitte gemäß
von ihr Abschied zu nehmen. Kriemhild hat den Streit schon halb ver—
gessen. Daß sie den vor sich sehe, der sich als ewigen Feind ihres Gatten
bekannt und ihm den Tod geschworen hat, davon kommt auch nicht die
leiseste Ahnung in ihr noch immer argloses Herz. „Hagen, du bist mein
Verwandter, ich die deinige. Wem soll ich in dem Kriege, der bevorsteht,
das Leben meines Siegfried besser anvertrauen als dir? Schütze mir
meinen lieben Mann, ich befehle dir ihn auf deine Treue. Zwar ist er
unverwundbar; aber als er sich im Blute des Drachen badete, fiel ihm
zwischen die Schulterblätter ein breites Lindenblatt, so daß diese Stelle vom
Blute des Drachen nicht getränkt wurde, mithin verwundbar blieb. Kommen
nun in dichten Flügen die Kriegsspeere auf ihn angeflogen, so könnte doch
einer diese Stelle treffen; darum decke du ihn dann, Hagen, schütze ihn!“ —
„Wohl,“ sagt der Tückische; „um das besser zu können, nähet mir, königliche
Frau, ein Zeichen auf die Stelle seines Gewandes, damit ich genau wisse,
wie ich ihn zu schützen habe.“ Und die Arglose, in zärtlicher Liebe für
den Gatten Verlorene nähet mit eigener Hand aus feiner Seide ein Kreuz
auf das Gewand, — sie nähet selbst sein blutiges Todeszeichen. Tags
darauf beginnt der Kriegszug, und Hagen reitet nahe heran an Siegfried,
um zu sehen, ob die Gattin in ihrer blinden, grenzenlosen Liebe arglos